Mr Monster
ich, »und ebenso wenig durch das, was ihnen fehlt. Sie definieren sich über ihre Beziehungen.«
Ich dachte an meine Mutter und an alles, was sie für mich getan hatte. Wie sie mich sechs Monate zuvor beschützt hatte, als ich den Dämon getötet hatte und wir nicht wussten, was wir tun sollten. Wie sie ihr eigenes Leben auf den Kopf gestellt hatte, um mit mir zurechtzukommen, und wie sie sich anstrengte, der Mensch zu sein, den ich brauchte. Es gefiel mir nicht, aber ich wusste, dass sie mir zu helfen versuchte.
»Mkhai hat es erkannt«, fuhr ich fort. »Er hat am Ende eingesehen, dass das Leben mehr ist, als nur von einem Körper zum nächsten zu springen, von einem Leben ins nächste, immer auf der Flucht vor allem, ohne jemals irgendwo anzukommen.«
Ich dachte an meine Schwester, die auf mich aufpassen wollte und nicht einmal auf sich selbst aufpassen konnte. Ich dachte an ihr blaues Auge und ihre Narben und wie sie sich jetzt ängstigte, da sie wusste, dass Curt verschwunden war. Sie war eine Törin, aber sie war fähig, andere zu lieben.
»Mkhai hat eure kleine Gemeinschaft der Dämonen verlassen, weil er sie nicht mehr brauchte«, sagte ich. »Jahrtausende einer bedeutungslosen Existenz lagen hinter ihm. Er hatte existiert, aber nie gelebt, und endlich war er frei. Er tat den nächsten Schritt, und die Kraft, die er dabei gewann, hob ihn auf eine Stufe, die Sie nie erreichen werden. Sie nennen ihn einen Gott, doch am Ende war er sogar mehr als das. Er wurde menschlich.«
Ich dachte an Kay Crowley, an die kleine alte Dame von gegenüber, die so bedingungslos lächeln, helfen und lieben und damit einen Dämon aus der Kälte herüberholen und in einen Mann verwandeln konnte. Auch an den Mann dachte ich, an den alten Nachbarn, mit dem ich aufgewachsen war, und an den Dämon, der mir mehr Vorbild gewesen war als mein eigener Vater. Wie hatten seine letzten Worte noch gleich gelautet?
Vergiss mich nicht, wenn ich fort bin. Ich erinnerte mich an ihn und vermisste ihn.
Verlust und Sehnsucht.
»Hör auf damit!«, rief Forman. Er richtete sich auf und stürmte durch den Raum – er ging nicht auf mich los, sondern irrte blindlings umher. Es war wie ein nervöses Zucken. Mein Plan funktionierte.
»Deshalb bist du nicht hier.« Er fuchtelte wild mit den Armen. »Du bist nicht hier, um traurig zu sein – diese langweilige Emotion.« Er ging ins Wohnzimmer und redete weiter. »Es passt mir nicht, etwas zu vermissen!« Er kehrte zurück, legte die Hände auf den Tisch und beugte sich vor, um mir ins Gesicht zu schreien. »Glaubst du etwa, so etwas hätte ich noch nie empfunden? Glaubst du wirklich, du könntest mich mit einem neuen Gefühl schockieren und ich kippe einfach um und …« Er richtete sich auf und wandte sich um, kratzte sich am Kopf, tat einen Schritt zur Spüle, wandte sich abermals um.
»Es passt mir nicht«, wiederholte er. »Ich gehe.« Er kam zu mir herum, und ich wich zurück. »Ich will nicht … bleib einfach sitzen. Ich kette dich an, damit du nichts anstellst. Ich bin bald zurück.« Unter dem Tisch war eine dicke Kette mit einer angeschweißten Fußfessel befestigt, die Forman mir nun um das Fußgelenk legte. »Ich bin bald zurück«, wiederholte er, »und wenn ich wieder da bin, solltest du etwas Interessanteres empfinden.«
Damit drehte er sich um und ging, marschierte durchs Wohnzimmer geradewegs zur Tür hinaus und schloss hinter sich sorgfältig ab. Der Motor seines Autos erwachte zum Leben, und er fuhr fort. Ich war allein.
Zeit für Phase zwei.
Forman hatte so getan, als sei er hinausgestürmt, um meiner Traurigkeit zu entfliehen, doch das entsprach nicht der Wahrheit. Als wir ihn das letzte Mal gezwungen hatten, Trauer zu empfinden, war er in den Keller gekommen und hatte uns angegriffen. Wenn er tatsächlich auf ein neues Gefühl aus war, dann hätte er uns einfach wieder angreifen können. Nein, Forman war gegangen, um jemanden zu entführen, genau wie ich es erwartet hatte – wahrscheinlich Kay Crowley, vielleicht auch meine Mom. Sobald man ihn einmal verstanden hatte, war er sehr berechenbar. Ich hatte ihm vor Augen geführt, dass ihm etwas fehlte, und nun war er unterwegs, um es zu suchen.
Falls er sofort zu Kay fuhr und umgehend mit ihr zurückkehrte, blieb mir höchstens eine Stunde, vielleicht sogar weniger. Ich musste bereit sein, wenn er wieder auftauchte. Natürlich konnte ich ihn nicht einfach angreifen, denn das würde er vorher spüren. Selbst wenn er völlig
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