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Mr Monster

Mr Monster

Titel: Mr Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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Mörder gewesen, ein Killer mit übernatürlichen Kräften. Ihn zu töten war die einzige Möglichkeit gewesen, ihn aufzuhalten. Am Ende hatte er jede Woche mehrere Menschen getötet. Wie viele andere Menschen wären jetzt, sechs Monate später, bereits tot, wenn ich nicht eingegriffen hätte? Curt dagegen war kein Killer, und seine Strafe durfte nicht der Tod sein. Das war zu hart. Ich konnte es nicht tun. Ich wich zurück.
    Andererseits … ich konnte ihm wehtun. Es musste ja nicht mit seinem Tod enden. Schließlich hatte ich auch Mrs. Crowley wehgetan, die ganz sicher keine solche Schuld auf sich geladen hatte wie Curt. Ich ging weitere zwei Schritte auf ihn zu, bis ich seinen Schweiß roch und seinen stockenden Atem hörte. Er hatte anderen Schmerzen zugefügt, also sollte er zur Strafe auch Schmerzen erleiden. Das war vernünftig und gerecht. Ein blaues Auge für ein blaues Auge.
    Und dann?
    Ich wandte mich um und trat ans Fenster. Es war Abend, der Himmel über dem dichten Kiefernwald war königsblau. Was würde geschehen, nachdem ich Curt verletzt hätte? Wir konnten ihn doch nicht einfach gehen lassen, denn dann würde er allen erzählen, was wir ihm angetan hatten. Wir konnten ihn hierbehalten, angekettet im Verlies. Er hatte es verdient, im Gefängnis zu schmoren, und die Strafe sollte er auch bekommen. Aber doch nicht für immer.
    Ich wandte mich zu Curt um. Er hatte die Augen geschlossen, vielleicht betete er oder hatte einfach nur zu viel Angst, um meinen Blick zu erwidern. Er war ein grober, überheblicher Mistkerl, der jeden unterbutterte, der ihm begegnete. Er beleidigte die Frau, die ihn liebte, und wenn es Schwierigkeiten gab, dann schlug er sie – erbarmungslos und körperlich weit überlegen. Er zerstörte das Leben anderer Menschen, genau wie Crowley es getan hatte. War ich ein Heuchler, wenn ich Crowley Einhalt gebot, Curt aber nicht? Wenn es aber bei Curt in Ordnung war, warum sollte ich dann bei ihm aufhören? Wo lag die Grenze? Und wenn keine Grenze erkennbar war, warum sollte ich dann überhaupt eine ziehen?
    Hinter alldem, hinter aller Vernunft lauerte natürlich auch die unausweichliche Wahrheit, dass ich es tun wollte – ich wollte ihm wehtun, ihm blutende Wunden zufügen, bis er kreischte, bis er still dalag wie ein Toter.
    Abermals tat ich einen Schritt auf Curt zu. Bis ich auf einmal aus den Augenwinkeln eine winzige Bewegung in der Ecke des Raums wahrnahm, nicht größer als eine flatternde Motte. Ich sah näher hin und entdeckte zwei Augen, die mich anstarrten. Gefangen und stumm, ewig beobachtend. Ich starrte zurück. Niemand wusste, wer sie war, vielleicht nicht einmal Forman. Sie blinzelte – die einzige Kommunikationsmöglichkeit, die sie hatte.
    Woher kam sie? Was mochte sie, was verabscheute sie? Was liebte und was hasste sie? Wer war sie?
    Wer war ich?
    Ich bin John Cleaver und lebe in Clayton County in einem Haus am Stadtrand, mit einer Leichenhalle. Ich habe eine Mutter, eine Schwester und eine Tante. Ich bin sechzehn Jahre alt, lese und koche gern und habe eine Freundin namens Brooke. Ich will tun, was richtig ist, gleichgültig, was es mich kostet. Ich will ein guter Mensch sein.
    Das war allerdings nur die eine Hälfte von mir.
    Ich bin Mr. Monster. Ich habe Dutzende von Verhaltensmustern, die zu Serienmördern passen, und phantasiere über Gewalt und Tod. In der Nähe von Leichen fühle ich mich wohler als in Gegenwart lebender Menschen. Ich habe einen Dämon getötet und verspüre jeden Tag das Bedürfnis, erneut zu töten. Es ist wie ein bodenloses Loch mitten in meiner Seele.
    Diese beiden Hälften meines Wesens lagen im Streit miteinander, und jede erhob Anspruch auf Alleinherrschaft über mich. Wenn ich mich für die eine Seite entschied, verleugnete ich die andere und damit auch mich selbst. Gab es irgendwo in der Mitte so etwas wie mein wahres Ich?
    Es gab tatsächlich eine andere Seite, die ich selbst noch nie gesehen, sondern immer nur durch die Augen anderer bemerkt hatte. Ich war nicht John der Versager oder John der Spinner oder John der Psycho. Ich war John der Held. Ich konnte mit Brooke und ihren Freundinnen am Lagerfeuer sitzen, den Menschen, die mir begegneten, in die Augen sehen und Achtung in ihren Blicken entdecken. Ja, ich hatte mich wirklich wie ein Held gefühlt. So wollte ich mich wieder fühlen.
    Ein Held sein bedeutete, Curt zu retten, einerlei, wie widerlich ich ihn fand. Es bedeutete, alle Gefangenen zu retten, so schwer es auch werden

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