Mr Nanny
drei Kinder, wie ich schon gesagt habe. Dylan ist neun, Gracie fünf, und der kleine Michael ist zwei. Und, na ja, Dylan habe ich ja schon erwähnt.«
»Ich erinnere mich.«
»Er ist dieser Tage nicht so ganz er selbst. Sein Vater ist nie da, und ich arbeite zwar nur drei Tage die Woche, habe aber öfter Projekte, die sich über die restlichen Wochentage erstrecken. Und manchmal muss ich auch verreisen. Und mein Sohn braucht eine männliche Identifikationsfigur, die ihn sozusagen vom Boden aufklaubt. Das ist das Einzige, was ich ganz genau weiß: Kleine Jungs bewundern Männer, die ihnen Aufmerksamkeit schenken.«
»Ich weiß.«
»Und, na ja, er kann ein bisschen Schach spielen, er liest gern und zeichnet gern, aber das mit dem Sport, na ja...«
»Dann möchten Sie also, dass ich Schach mit ihm spiele? Sie haben mir am Telefon eine wahnsinnig hohe Summe genannt. Das ist ziemlich viel für ein bisschen Schach.«
»Nun ja, Sie müssten am Nachmittag kommen, am besten zum Schulende um drei. Und mit ihm arbeiten.«
»Wie arbeiten?«
»Nun ja, er ist neun, nicht wirklich arbeiten, natürlich.«
»Sie meinen also Hausaufgaben?«
»Ja, ja genau. Die Hausaufgaben. Aber das wäre nur ein kleiner Teil. Ich meine, er braucht vor allem jemanden, der mit ihm spielt.« Insgeheim dachte ich: Bitte, hilf meinem kleinen Jungen, bitte mach, dass es ihm wieder besser geht, dass er wieder er selbst wird. Ich merkte, wie mir Tränen in die Augen traten, und griff hastig nach seinem Lebenslauf, um mich dahinter zu verstecken.
»Ich meine, Sie haben einen Abschluss in Informatik, und Sie waren Skilehrer. Sie haben in diesem Schulbuchverlag gearbeitet. Ein Familienunternehmen?«
An diesem Punkt des Vorstellungsgesprächs erfuhr ich Folgendes: Er war neunundzwanzig, wurde im Dezember dreißig. Er war in einem Vorort von Denver aufgewachsen, hatte vier Jahre lang in Boulder studiert, bevor er sich ins Heer der Berufstätigen einreihte - zunächst einmal in dem Schulbuchverlag seines Vaters. Den Abschluss in Informatik hatte er in Abendkursen gemacht.
Als ich ihn nach mehr Einzelheiten zu seinem Homework Helper fragte, merkte ich allmählich, wie kreativ dieser Bursche wirklich war. Er war derart begeistert von seinem Projekt, dass ich nach der Hälfte nur noch Bahnhof verstand, aber ich ließ mir nichts anmerken. Er war nach New York gezogen, weil er den Homework Helper an den staatlichen Schulen der Stadt ausprobieren wollte. Aber wie viele Internet-Jungunternehmer hatte er feststellen müssen, dass sein Programm noch nicht wirklich marktreif war. Es standen ihm noch ein paar haarige Monaten bevor. Außerdem hatte er noch Studienkredite zurückzuzahlen.
Ich begann zu verstehen, warum dieser Mann keinen traditionelleren Berufsweg eingeschlagen hatte: Er besaß Unternehmergeist, war risikofreudig. Aber was hatten die langen Haare zu bedeuten? War er ein passionierter Skifahrer, dem es nach dem College ein bisschen zu sehr auf den Pisten gefallen hatte? Oder war er einfach ein Mensch, dem nichts daran lag, sofort die nächstbeste Karriereleiter zu erklimmen? Ich wurde nicht schlau aus ihm, obwohl ich an seinen Lippen hing. Ich studierte, während er sprach, seine ausgeprägten Wangenknochen, die großen blauen Augen. Er sah aus wie jemand, der mit jeder Situation fertig wurde, aber auf unkonventionelle, unbürokratische Weise. Ich hatte sofort das Gefühl, dass dieser Mann vertrauenswürdig und zuverlässig war, wenn auch nicht gerade ein Karrierist.
Danach erzählte ich ihm alles, was mir über Dylan einfiel: von dem Zusammenbruch beim Basketballspiel, dass er sich von einigen Schulfreunden zurückgezogen hatte, und von meiner Angst, die Dinge könnten noch schlimmer werden.
»Und was ist mit seinem Vater, wenn Sie mir die Frage erlauben? Haben die beiden ein enges Verhältnis?«
»Ja, natürlich.«
»Und spielt sein Vater mit ihm Schach? Was machen die beiden zusammen?«
Phillip hatte sich nicht mehr mit Dylan auf den Teppich gesetzt, seit er drei war. »Na ja, am Wochenende essen wir gemeinsam zu Mittag, oder mein Mann geht mit ihm ins Kino. Phillip legt großen Wert darauf, dass Dylan liest, deshalb setzen sie sich manchmal zusammen aufs Sofa und lesen was über Flugzeugbau oder so.Wissen Sie, Phillip ist Rechtsanwalt, er ist während der Woche die meiste Zeit weg. Er sieht die Kinder zum Frühstück und ein, zwei Mal pro Woche auch vor dem Schlafengehen.«
»Und am Wochenende? Gehen sie da in den Park, um Ball zu
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