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Mr. Peregrines Geheimnis: Roman (German Edition)

Mr. Peregrines Geheimnis: Roman (German Edition)

Titel: Mr. Peregrines Geheimnis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.J. Hartley
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Ma’am.«
    Miss Murray warf ihm einen langen, ausdruckslosen Blick zu, und Darwen konnte geradezu hören, dass sie sich fragte, wie man nur so dumm sein konnte.
    »Das sagt in England niemand, Ma’am«, erklärte er also. »Wir sagen Miss, oder Sir. Wenn der Lehrer ein Mann ist.«
    Je mehr er redete, desto dümmer hörte er sich vermutlich an.
    »Woher in England kommen Sie?«, fragte sie mit immer noch unbeteiligtem Blick.
    »Aus dem Nordwesten, aus der Nähe von Manchester. Das ist nicht direkt bei London, London liegt weiter im Süden …«
    »Ich unterrichte Weltkunde, Darwen«, sagte Miss Murray, und ihre Augen glitten über die Landkarten, die jeden Quadratzentimeter der Wände ihres Büros bedeckten. »Ich weiß, wo London liegt.«
    »Klar«, sagte Darwen. »Natürlich. ’tschuldigung, Miss … äh … Ma’am.«
    Miss Murray blinzelte.
    »Haben Sie Fotos von zu Hause?«, fragte sie. »Vielleicht ein Album?«
    »Ja, Ma’am.«
    »Das sollten Sie einmal mitbringen, damit wir es uns im Unterricht ansehen können.«
    »Oh«, sagte Darwen. »Klar. Sie sind nicht so besonders gut. Das meiste sind eher so Familiensachen, von Orten, an denen ich war und so.«
    »Ich bin sicher, sie sind sehr interessant«, sagte Miss Murray, die lächelte und nickte. »Haben Sie die Fotos selbst ausgesucht?«
    »Ja, Ma’am«, sagte Darwen. »Ich konnte nicht so viel mitnehmen, deswegen habe ich nur ein Fotoalbum genommen und Bilder hineingeklebt, bevor ich nach Atlanta geflogen bin.«
    »Sie bedeuteten Ihnen sicher sehr viel«, sagte die Leh rerin mitfühlend.
    »Vielleicht«, sagte Darwen und setzte dann ganz unwillkürlich hinzu: »Eigentlich nicht.«
    Diese Erkenntnis überraschte ihn selbst. Die Bilder waren ihm wichtig, und er war froh, dass er sie hatte, aber das Album lag in einem Karton in seinem Nachttisch, und er hatte sich die Fotos nicht ein einziges Mal angesehen, seit er in Atlanta angekommen war. Beinahe hatte er vergessen, dass er sie hatte.
    »Das ist komisch«, sagte sie und neigte den Kopf zu einer Seite. »Aber Sie vermissen England sicher sehr.«
    Sie lächelte immer noch ihr verständnisvolles Lächeln, aber in ihren Augen war noch etwas anderes – etwas Ähnliches wie reine Neugier, als hätte man ihr eine knifflige Matheaufgabe gestellt. Vielleicht lag es an diesem seltsamen Gesichtsausdruck, dass Darwen über ihre Frage sehr ernsthaft nachdachte, und er war überrascht, dass die Antwort »Nein« lautete.
    Er war traurig gewesen, als er England hatte verlassen müssen, aber seitdem hatte er nicht mehr viel an seine frühere Heimat gedacht. Amerika war ihm zwar immer noch fremd und unvertraut, aber würde seine Tante jetzt vor ihm stehen und ihm anbieten, dass er sofort nach Lancashire zurückkehren dürfte, würde er wahrscheinlich nicht gehen. Sein Zuhause war dort gewesen, wo seine Eltern gelebt hatten – und sie waren nicht mehr da. Ob er England vermisste? In gewisser Weise schon, klar, aber ohne seine Familie, was sollte ihm da fehlen?
    Er senkte die Augen, während ihm diese unerwarteten Gedanken durch den Kopf gingen.
    »Nein«, sagte er. »Es sind nur Bilder. Das habe ich hinter mir gelassen.«
    Als er wieder aufsah, stellte er fest, dass Miss Murray ihn genau beobachtete. Ihr Lächeln – obwohl noch vorhanden – hatte etwas von seinem Mitgefühl verloren und wirkte nun eher starr und wachsam. Darwen blinzelte, und in diesem kurzen Augenblick veränderte sich das Gesicht der Lehrerin, wurde streng und professionell wie üblich.
    »Nun denn«, sagte sie. »Wir sind ja nicht zum Plaudern hier. Es gibt Arbeit für Sie.«
    Sie stand auf und ging zu einigen Schränken hinüber, deren Türen leicht aufstanden, weil die Fächer so vollgestopft waren.
    »Unsere Klasse wird sich mit den Maoris in Neuseeland beschäftigen«, sagte sie und deutete auf drei Kisten. »Dieses Material muss alphabetisch sortiert werden. Jeder Artikel muss einem Thema zugeordnet, beschriftet und abgeheftet werden. Hier hast du Klebeetiketten und eine Schere. Noch Fragen?«
    »Nein, Ma’am«, sagte Darwen.
    »Ich habe noch etwas anderes zu tun, aber ich komme in einer Stunde zurück. Sie bleiben hier, bis alles erledigt ist«, setzte sie hinzu. »Also trödeln Sie nicht herum.«
    Die Arbeit war langwierig und zäh. Darwen las jeden Artikel durch, überlegte sich, wozu er passte, schrieb mit seinem Füller eine passende Bezeichnung auf die Etiketten (und achtete dabei sorgfältig darauf, die Schrift nicht zu verschmieren),

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