Mr. Postman
Sie sah auch nichts Helles an ihr. Selbst nicht auf dem Kopf, der einen etwas ungewöhnlichen Umriss zeigte und Glenda vermuten ließ, dass er eine Mütze oder Kappe trug.
Der Mann ging leicht gebeugt. Er trug eine Jacke, eine Hose. Die Arme schlenkerten bei jeder Bewegung hin und her, und aus den Ärmeln schauten recht helle Hände hervor. Das nahm sie schon wahr.
Glenda hütete sich, den Mann zu überholen, obwohl das kein Problem gewesen wäre. Irgend etwas hielt sie davon ab. Rational konnte sie den Grund nicht erfassen. Sie gehorchte einfach ihrem Gefühl. Zudem sah sie sich auch ein wenig wie ein gebranntes Kind, das das Feuer scheut.
Glenda hatte einiges hinter sich. Gerade sie wusste, dass es Dinge auf der Welt gab, die so unwahrscheinlich waren, dass man sie kaum glauben konnte.
Genau dieses Wissen hatte sie gelehrt, vorsichtig zu sein. Nicht jedem zu vertrauen, immer eine gewisse Distanz bei Fremden halten, und das nahm sie in diesem Fall wörtlich. Sie behielt den Abstand zu dem Fremden bei, obwohl es keinen vernünftigen Grund gab, sich vor ihm zu fürchten oder näher an ihn heranzugehen. Sie wollte abwarten…
Der andere ging weiter. Er veränderte seine Bewegungen auch nicht.
Steif, noch immer etwas schwankend, dabei mit den Füßen über den Boden schleifend. Manchmal schüttelte er seine Hände auch aus, und wenn er in das Licht einer Straßenlaterne geriet, tanzte sein Schatten über den Boden.
Betrunken ist er nicht, dachte Glenda. Er benimmt sich nur recht seltsam. Was eigentlich auch nicht stimmte, wenn sie ehrlich war. Es lag allein an ihr, dass sie so misstrauisch war.
Plötzlich war er weg! So schnell, dass Glenda glaubte, ihn als Spuk erlebt zu haben. Er war nicht mehr da, er war nach rechts abgetaucht, denn sie sah ihn, als er durch einen Vorgarten schritt, der nicht vorn durch eine Leuchte erhellt wurde, sondern von der Seite, denn dort fiel das weiche Licht in den Garten hinein. Genau in dieser Insel malte sich seine Gestalt ab, bevor sie auf eine Haustür zuschritt.
Glenda ging weiter. Diesmal allerdings wesentlich langsamer. Ihr Misstrauen hatte sich verstärkt, und sie dämpfte ihre Schritte, bis sie kaum noch zu hören waren.
Als Glenda den Beginn des Vorgartens erreichte, blieb sie stehen. Sie schaute zu, wie der Mann auf die Tür zuging. Er hatte es nicht einmal eilig, blieb auch vor der Tür stehen, ohne einen Schlüssel in die Hand zu nehmen. Er klingelte auch nicht. Dafür tat er etwas anderes. Er ging in die Knie und schabte dabei mit den Fingern über das Außenholz entlang. Die Geräusche waren so laut, dass Glenda sie hörte. Der Mann blieb in der Hocke, fummelte aber an irgend etwas herum, was Glenda nicht sehen konnte, da sein Rücken ihr die Sicht versperrte. Sie ging zur Seite und sorgte für einen besseren Blickwinkel. Dann hörte sie auch ein seltsames Geräusch. Da schien irgend etwas aufgeklappt worden und woanders gegengefallen zu sein.
Sie wartete.
Auch der andere wartete. Es war ein Spiel zwischen der Katze und der Maus. Nach einer Weile richtete sich der Mann wieder auf. Er drehte sich dabei nicht unbedingt zur Seite, doch Glenda gelang es dank ihres Standortes, einen Blick auf sein Gesicht zu werfen.
Unter dem Schirm der Mütze schimmerte es sehr hell und wirkte auch irgendwie starr. Zum erstenmal sah Glenda die Haare, die wie Stroh rechts und links des Kopfes abstanden und so aussahen, als wollten sie mal gekämmt werden.
Der Fremde wartete. Noch immer hatte er sich nicht bemerkbar gemacht. Er hatte nur durch den Briefkastenschlitz in das Haus hineingeschaut. Darüber wunderte sich Glenda jetzt noch.
Im Moment hatte sie ihre Freundin vergessen. So etwas wie Jagdfieber war in ihr hochgekommen. Während sie weiterhin auf ihrem Beobachtungsplatz blieb, dachte sie über den Mann nach. Sie hatte ihn unter anderem für einen Einbrecher gehalten. War von dieser Theorie wieder abgekommen, denn Diebe verhielten sich anders. Die blieben nicht vor der Haustür stehen, sondern suchten nach einem anderen Einstieg.
Was wollte er? Normal jedenfalls war sein Verhalten nicht. Da steckte mehr dahinter.
Glenda Perkins nahm die Umgebung sehr intensiv wahr. Sie roch das Laub und auch den Duft der Blüten und Blumen aus den Vorgärten.
Besser konnte sich der Frühling nicht bemerkbar machen, aber das vergaß sie jetzt, denn am Haus passierte etwas.
Die Tür öffnete sich. Nicht normal, sondern sehr vorsichtig. Spaltbreit zunächst, und wenig später vergrößerte
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