Mr. Postman
Lachen einzutauchen, um dann durch ein kurzes Schmecken herauszufinden, ob tatsächlich Blut auf dem Boden lag oder nur eine andere Flüssigkeit, die ähnlich aussah. Ketchup, Filmblut - ihr schossen da einige Begriffe durch den Kopf.
Vorsichtig hob sie die Klappe an. Lilian wollte unbedingt jedes Geräusch vermeiden. Wenn der andere noch draußen wartete, sollte er nicht heraushören können, was sie vorhatte. Es gelang ihr recht gut. Sie hob die Klappe so weit an, bis sie im rechten Winkel zur Tür stand, um dann durch den breiten Schlitz schauen zu können.
Schreckliche Vorstellungen schossen ihr durch den Kopf. Sie war so gut wie hilflos. Wenn draußen jemand lauerte und ein Messer durch den Spalt drückte, dann war zumindest ein Auge verloren. Er konnte auch Säure sprühen oder schießen…
Er tat nichts. Es passierte auch nichts. Ihr gelang der begrenzte Blick in den Vorgarten. Dort sah sie einige Sträucher, die von der Dunkelheit umhüllt waren, nicht mehr. Keiner lauerte vor dem Haus, um auf eine Chance zu warten.
Das beruhigte sie zunächst. Es ging ihr etwas besser, als sie sich wieder in die Höhe drückte und den Stoff des Seidenmantels vor ihrer Brust zusammenraffte.
Lilian schloss die Augen. Nach außen hin war alles okay, wenn nicht das verdammte Blut gewesen wäre. Sie hatte keinen Traum erlebt, und sie wollte endgültig wissen, ob dieser Scherzbold verschwunden war.
Durch den Schlitz hatte sie nicht viel sehen können. Der größte Teil des Vorgartens war ihr verborgen geblieben.
Abgeschlossen war die Haustür nicht. Lilian brauchte nur die Klinke zu drücken und sie zu öffnen. Eine Tätigkeit, die völlig normal war, die sie schon unzählige Male hinter sich gebracht hatte, die ihr aber jetzt so verdammt schwer vorkam.
Schwer lastete die Hand auf der Klinke. Auch die Kälte des Metalls spürte sie. Sie gab ihr ein leichtes Gefühl der Beruhigung. Mehr auch nicht. Lilian ging vorsichtig zu Werke. Erst die Haustür spaltbreit öffnen, dann der Blick nach draußen. Die Eingänge der anderen Häuser befanden sich rechts und links. Zumindest die der unteren Wohnungen, die oberen konnten von den Seiteneingängen erreicht werden. Die Häuser hier waren verschachtelt gebaut worden. Moderne Architektur, ungewöhnlich und auch interessant.
Der kühle Wind streichelte ihr Gesicht und hinterließ einen weiteren Schauer auf der Haut. Ihr war kalt und warm zugleich. Die Hitze stieg in ihren Kopf. Die Hände zitterten ebenso wie die Knie, obwohl nichts passierte.
Der dunkle Vorgarten, der von keinem Licht einer Außenlampe erhellt wurde, weil Lilian sie nicht eingeschaltet hatte. Niemand brauchte zu sehen, wenn Charlie sie besuchte. Aber Charlie war nicht gekommen, aus welchen Gründen auch immer. Dafür hatte sich dieser andere eingefunden.
Sie öffnete die Tür noch weiter. Der Spalt war breit genug, um den Kopf hindurchstrecken zu können, was sie auch tat.
Es passierte blitzschnell und erwischte Lilian ohne Vorwarnung, obwohl sie darauf eingestellt war. Aus welcher Richtung sie die Klaue erwischt hatte, wusste sie nicht. Plötzlich war sie da gewesen, und die kalten Knochen pressten sich gegen ihr Gesicht.
Sie raubten ihr die Luft. Sie berührten die Haut, sie drückten sie ein, und plötzlich kam ihr der Brief mit der Warnung wieder in den Sinn.
Alles hatte seine Richtigkeit, aber die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit hatten sie diesen Brief vergessen lassen.
Lilian Evans war nicht in der Lage, dem Druck standzuhalten. Die andere Kraft presste sie zurück und hinein in ihre Wohnung. Noch immer wurde sie am Schreien gehindert, doch die Pranke bedeckte nur den unteren Teil ihres Gesichts. Der obere lag frei und auch die Augen.
Sie konnte sehen. Die Mütze, das Posthorn darauf, die Uniform des Briefträgers - und das Gebein. Nicht ein Mensch hatte sie besucht, sondern ein Skelett, das sie jetzt zurück in die Wohnung drückte…
***
Endlich, nach vielem Hin und Her, war der Termin zustande gekommen. Glenda Perkins hatte einige Male mit einer alten Bekannten telefoniert und es dann geschafft, sich mit ihr zu verabreden. Sie war nach Hause eingeladen worden, und dort wollten die beiden Frauen einen längeren Abend verbringen und über die Vergangenheit reden.
Glenda hätte Muriel Drake gern auch in einem Restaurant getroffen, doch dagegen standen die Pflichten einer Mutter, denn Muriel hatte einen zweijährigen Sohn, den sie nicht allein lassen wollte. Ihr Mann konnte den Babysitter auch
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