Mr. Postman
seiner Beerdigung gewesen?«
»Nein. Wir gehen zu anderen Zeiten auf die Friedhöfe.« Er fing an zu lachen.
»Was ist daran so lustig?«
»Hast du schon mal unsere Feten erlebt?«
»Nicht direkt«, log ich. »Aber ich habe schon davon gehört oder gelesen.«
»Die sind total abgefahren. Mal was Neues.« Er trat plötzlich zurück.
»Scheiße, warum erzähle ich dir das alles?«
»Weil ich gefragt habe.«
»Klar, und wer bist du?«
Auf eine derartige Frage hatte ich gewartet und mir schon eine Antwort zurechtgelegt. »Ein Halbcousin von Cassius. Ich war einige Jahre im Ausland. Bin jetzt wieder zurück und wollte nur kurz bei ihm vorbeischauen. Dass er tot ist, damit habe ich nicht gerechnet. Kannst du mir wenigstens sagen, wo ich sein Grab finde?«
Der Gruftie schaute mich misstrauisch an. »Ja, ich weiß, wo man ihn begraben hat. Nicht mal weit von hier. Auf einem kleinen Friedhof. Der ist wirklich geil.«
»Warum?«
»Ich will wieder hin.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Um Mitternacht läuft da die Totenparty. Muss mich beeilen, sonst komme ich zu spät.«
Er wollte an mir vorbei ins Haus, aber ich hielt ihn fest. »Einen Moment noch.«
»Was ist denn?«
»Kann ich mit?«
»Bist du irre? Auf die Fete?«
»Nein, auf den Friedhof. Es wäre doch möglich, dass du mir sein Grab zeigst. Wenn ich schon mal hier bin, möchte ich wenigstens von einem Verwandten Abschied nehmen.«
Er überlegte nicht lange. »Was ist dir die Sache denn wert?«
»Fünf Pfund.«
»Abgemacht. Ist ein Wort. Warte hier, ich bin gleich wieder zurück. Ach ja, ich bin Julian.«
»Und ich heiße John.«
»Bis gleich dann…«
***
Der kleine Friedhof war tatsächlich nicht weit entfernt. Ich wusste nicht, dass es hier einen gab. Von außen konnte man den Friedhof auch für einen kleinen Park halten, und davon gab es in London nun zahlreiche, das weiß jeder. Trotzdem waren wir gefahren. Ich hatte mich auf den Rücksitz eines schwarzlackierten Rollers klemmen können und war bis zum Eingang gebracht worden.
Nachdem das Knattern des Motors verstummt war, umgab uns Stille.
Auch die Verkehrsgeräusche hielten sich in Grenzen, denn die zahlreichen Bäume in der Nähe wirkten wie Schallschlucker.
Julian grinste mich an. »Na, hast du Schiss?«
»Warum? Tote tun einem Menschen nichts.«
Julian grinste scharf. »Falls sie wirklich tot sind.«
»Ach, gibt es die auch lebend?«
»Darauf warten wir noch.«
»Dann viel Spaß.«
Hier brannte kein Licht. Eine schleierhafte Düsternis breitete sich über dem Gelände aus. Sie hatte sich bis in die letzten Winkel und Ecken hineingedrückt und saugte vieles auf, das wir bei Tageslicht noch hätten sehen können.
Büsche, Hecken, Bäume. Schmale und etwas breitere Wege.
Grabsteine, die hoch oder flach die letzten Ruhestätten schmückten und dabei bewacht wurden von weit ausladenden Bäumen, deren Umrisse manchmal wirkten wie erstarrte Gespenster.
Julian trug Stiefel oder halbhohe Schuhe. Seine Schritte waren zu hören. Manchmal schabten die kleinen Kiessteine gegeneinander, dann raschelte es, und auch in den dichten Büschen blieb es nie ruhig, denn sie bildeten die Verstecke für die schlafenden Tiere.
Die Natur gab uns den Atem eines ziemlich warmen Tages zurück.
Die Luft kam mir schwül vor. Sie war auch leicht feucht und wie der Vorbote eines Gewitters. Der Wind hatte sich zurückgezogen. So wurden die Blätter kaum bewegt und sahen aus wie erstarrt.
Ich schaute mich immer wieder nach allen Seiten hin um, ohne allerdings von Julians Gruftie-Freunden etwas zu sehen. Entweder waren sie noch nicht da oder verhielten sich still.
Julian hatte meine Gedanken erraten. »Keine Sorge, die Fete geht gleich los.«
»Wie macht sich das bemerkbar?«
»Sie werden die Totenlampen anzünden.«
»Sehr romantisch.«
Er lachte und fragte: »Geht dir die Muffe?«
»Nein, warum sollte sie?«
»Weil wir auf einem Friedhof sind. Manchmal sind sie gefährlich.«
»Tot und doch nicht tot…«
Julian wollte darauf keine Antwort geben. »Egal«, sagte er statt dessen, »wir sind gleich da.«
Unser Weg führte uns durch ein Karree, in dem vier Bänke aufgestellt worden waren. Niemand hatte zu dieser Zeit darauf Platz genommen.
Der faulige Geruch einer Biomülltonne schwebte mir entgegen. Wir passierten den Komposthaufen und gelangten in den Bereich, in dem auch das Grab des Cassius Manson lag. Davor blieben wir stehen.
»Okay«, sagte mein Begleiter. »Ich lasse dich jetzt allein. Hier ist
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