Mr. Postman
der anderen Seite stand dieses Treffen mit Manson. Durfte ich ihn überhaupt aus den Augen lassen? War es nicht besser, wenn ich ihm auf den Fersen blieb?
Ich entschied mich für die zweite Möglichkeit und ging nicht zu weit weg. Zumindest blieb ich in Hörweite. Wenn der andere nicht gerade über die Gräber lief, war es auf diesen mit kleinen Steinen belegten Wegen unmöglich, sich lautlos zu bewegen. Ich würde ihn bestimmt hören, wenn er das Grab verließ.
Schutz und Deckung gab es hier genug. Und so stellte ich mich hinter einen Busch. Jetzt hieß es abwarten. Je mehr Zeit verstrich, um so größer wurde meine Nervosität. Ich versuchte auszurechnen, wie lange jemand vor dem Grab eines Verwandten stand, der seit über einem Jahr tot war. Sicherlich nicht länger als zehn Minuten oder eine Viertelstunde. Doch was war bei diesem Manson schon normal?
Nichts, gar nichts, denn die Zeit war noch längst nicht vorbei, als ich die Schritte hörte. Wenn ich mich nicht zu stark irrte, hatte sich Manson jetzt auf den Rückweg gemacht. Wenn er so weiterging, musste er an meinem Versteck vorbei. Es wurde spannend.
Und dann kam ich mir reingelegt vor, weil Manson auf meiner Höhe stehen blieb. Ich hörte ihn leise lachen und ihn danach sprechen.
»Kommen Sie ruhig aus Ihrem Versteck, Mister. Ich weiß schon, dass Sie dort sind. Jemand wie Sie macht einfach keinen Rückzieher.«
Zwar ärgerte ich mich, aber es hatte keinen Sinn, so zu tun, als wäre nichts geschehen. Manson wartete auf mich in nahezu lockerer und entspannter Haltung. Er lächelte sogar, als ich vor ihn trat.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag.«
»Gut, ich höre.«
»Sie wollen doch sicherlich mehr über meinen Bruder wissen.«
»Das kann ich nicht leugnen.«
»Dann kommen Sie mit.«
Ich glaubte, mich verhört zu haben. »Was soll ich? Mit Ihnen kommen? Wohin denn? Vorhin haben Sie mich nicht…«
»Ja, das weiß ich. Ich habe es mir nur anders überlegt. Ich möchte Sie bitten, mit in meine Wohnung zu kommen. Dort können wir dann über meinen Bruder sprechen.«
»Wie kommt dieser Stimmungswandel zustande?«
Er winkte ab. »Sie sind ein Mensch, der so leicht nicht aufgibt. Sie bleiben am Ball. Bevor ich mich von Ihnen verfolgt fühle, will ich Sie aufklären. Oder trauen Sie mir nicht? Mir, einem schlichten Briefträger, der in einigen Stunden wieder seinen Dienst antreten muss?«
»Ich muss zugeben, dass Sie mich überrascht haben.«
»Das ist manchmal meine Art. Entschuldigen Sie. Überlegen Sie nicht zu lange, sonst…«
»Keine Sorge, ich komme mit.«
»Wunderbar.« Manson strahlte mich an. Das sah ich trotz der Dunkelheit. »Dann können wir ja beide zufrieden sein…«
Er war es bestimmt. Bei mir allerdings blieb schon eine gewisse Skepsis zurück…
***
Die Überraschungen rissen nicht ab, denn Manson wohnte tatsächlich in dem Haus, aus dem ich gekommen war und wo mir ein gewisser Graves erklärt hatte, dass es keinen Manson gab.
»Sie wohnen hier?«
»Stört Sie das?«
»Nein, ganz und gar nicht. Nur Ihr Name stand nicht…«
»Moment, ich weiß, was Sie sagen wollen. Da, schauen Sie, Mr. Sinclair.« Er wusste mittlerweile meinen Namen und hatte sich nicht überrascht gezeigt.
Das Klingelschild befand sich in der unteren Hälfte. Wenn ich richtig rechnete, wohnte er in der zweiten Etage, und ich las den Namen halblaut vor, auf den er deutete. »Nosnam…«
»Richtig, Mr. Sinclair. Drehen Sie ihn einfach um. Lesen Sie ihn von hinten nach vorn.«
Es war kinderleicht. Ich wusste jetzt, dass hier nicht Nosnam wohnte, sondern auch Manson. Raffiniert gemacht, das musste man ihm schon lassen. Von der Seite her schaute er mich lächelnd an. »Wollen wir den Lift nehmen oder zu Fuß gehen?«
»Meinetwegen die Treppe.«
»Gut, es ist nur bis zur zweiten Etage.«
Er ging vor mir her. Ein Mann, der keine Angst zeigte, sich einmal zu mir umdrehte und sogar lächelte. »Das hier ist beileibe kein Luxus, aber man kann es durchaus aushalten. Ich zahle nicht soviel Miete wie meine Kunden, die ich jeden Tag besuche.«
»Die Arbeit macht Ihnen Spaß?«
»Sehr, Mr. Sinclair.«
»Ihr Bruder war ja auch Briefträger…«
Er gab mir keine normale Antwort, sondern lachte nur. Was immer das auch zu bedeuten hatte.
Ein Skelett jedenfalls war er nicht. Als solches hätte er sich auch kaum so unter die Leute getraut, obwohl sich das andere ebenfalls als mordendes Knochengebilde gezeigt hatte. Wenn ich daran dachte, dass es zu dieser Zeit
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