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Mr. Shivers

Mr. Shivers

Titel: Mr. Shivers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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kleinen Versammlungsraum im hinteren Teil. Lange Tische reihten sich an den Wänden, und sie alle waren mit noch dampfenden Töpfen und Tellern beladen. Leute in Sonntagskleidung bewegten sich von Gericht zu Gericht, plauderten und tranken, bevor sie hinaus auf den Hof gingen. Der Duft von Butter, Käse und gebackenem Brot erfüllte die Luft, ebenso wie von Schweinebraten, Aufläufen, gekochtem Gemüse und Suppen. Der Raum war so überfüllt mit dem Versprechen von Beistand, dass es beinahe schmerzte.
    Der Pastor spürte ihr Unbehagen angesichts der vielen Menschen. Er füllte einen Korb und führte sie nach draußen in den Hof, wo sie allein im Schatten einer ruhigen Ecke sitzen konnten. Sie entfernten das Tuch, das auf dem Korb lag, nahmen sich Brot und Käse und aßen. Der Geschmack von alldem war so intensiv, dass es wehtat. Hammond fing wieder an zu weinen.
    »Das ist so schön«, stammelte er. »Das ist so schön.«
    Connelly sagte nichts. Er beobachtete ein kleines Mädchen im grünen Kleid, das über den Hof tanzte. In der Hand hielt es einen kurzen Stock mit einer Spielzeugschaufel am Ende. Das Ganze ähnelte einer Axt oder vielleicht einer Art Sichel. Am anderen Ende flatterten viele Bänder, und das Mädchen ließ ihn wie einen Tambourstock wirbeln und sang: »Erntetag, Erntetag.« Dann erblickte sie Connelly und die anderen. Sie grinste, aber es lag weder Freude noch Heiterkeit in ihrem Gesichtsausdruck. Ihre Augen glänzten wie schwarze Knöpfe, und als sie lachte, wurde Connelly daran erinnert, wie Roosevelt auf der Straße den Mäusekopf zertreten hatte.
    »Sie tragen alle lange Ärmel«, sagte Peachy.
    »Was?«, fragte Pike.
    »Sie tragen alle lange Ärmel«, wiederholte er. »Dabei ist es heiß. Erscheint merkwürdig, das ist alles.«
    »Das sind förmliche Menschen. Darf ich dich vielleicht erinnern, dass auch wir lange Ärmel tragen«, sagte Pike.
    »Ja. Aber wir haben nichts anderes anzuziehen, nicht wahr?«
    »Stimmt«, sagte Hammond.
    Da ergriff Roosevelt das Wort: »Wässere die Erde. Wässere sie gut. Erwecke die Wurzeln, die an finsteren Orten schlafen. Und iss die seltsamen Früchte, die ihre Gewächse sind. Ihre Wurzeln haben sich von all den Toten, die dort geschlafen haben, ernährt, und nun lassen sie sie erneut wachsen.«
    »Mensch, Rosie«, sagte Hammond. »Hör auf damit.«
    »Wässere sie in der Tiefe«, murmelte Roosevelt. Eine Fliege erregte seine Aufmerksamkeit, und er fing sie mit seinem Hut. Dann begrub er das Gesicht in dem Hut und kicherte.
    Gegen Ende des Nachmittags kam der Pastor wieder zu ihnen und führte sie in ein kleines Zimmer in der Kirche, in dem Männer in Anzügen warteten. Vermutlich andere Kirchenmänner, Diakone dieser kleinen Kirchengemeinde, diesem kleinen Stück vom Paradies, das zwischen den Ausläufern der Berge verborgen lag.
    »Das sind die Männer meiner Kirche«, sagte Pastor Leo. »Sie haben Sie bemerkt und waren von Ihrem Zustand bewegt, darum wollten sie Sie sehen.«
    »Wir bekommen hier nicht viele ziellos Reisende zu Gesicht«, erklärte einer von ihnen. »Uns kommen auch nicht viele Neuigkeiten zu Ohren.«
    »Wir wissen nicht viel Neues«, sagte Pike.
    Die Gemeindemitglieder lachten. »Ich wette, Sie wissen mehr als wir. Wir besitzen nicht einmal einen Telegrafen. Wir hatten einmal einen. Die Leitung brach vor einer Weile zusammen.«
    »Die Neuigkeiten, die ich kenne, gehören nicht zu der Sorte, die ich gern teilen würde«, erklärte Pike. »Ebenso wenig, wie ich jemanden mit Typhus anstecken will. Sie alle sind glücklich hier, das will ich nicht verderben.«
    »Bitte, Sir«, sagte Pastor Leo. »Wir möchten es einfach nur wissen.«
    Pike schüttelte den Kopf. »Nun, ich kann es ja versuchen.«
    Er erzählte es ihnen, so gut er konnte. Er sprach von der Verzweiflung, die außerhalb dieser Stadt aus den Fugen geriet. Von Elendsquartieren, die größer waren als ihre ganze Stadt und sich überall dort ansiedelten, wo einst frisches Leben blühte. Von Gerüchten über Krieg an seltsamen Orten. Von Kindern mit Armen und Beinen, die so dünn wie Stöcke waren, und mit vor Hunger aufgequollenen Bäuchen. Von Bundesstaaten, die seit Monaten keinen Regen mehr erlebt hatten und mittlerweile zur Hälfte weggeweht und vom wütenden Sturmwind zerrieben worden waren. Von einer zerbrochenen Welt der Umherwandernden und des Abfalls.
    Er sprach vom Hier und Jetzt. Von diesem Augenblick, von dem sie alle glaubten, dass er der vorletzte sei. Sie lebten in einem

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