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Mr. Shivers

Mr. Shivers

Titel: Mr. Shivers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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jemanden geliebt hatte.
    Er fand nichts. Das war ein totes Ding. Es hatte keine Geschichte, und es hatte keine Zukunft. Es war einfach nur ein totes Ding, das man ermordet hatte und nun von einem Baum hing. Er konnte genauso wenig einen Menschen darin entdecken, wie er einen Grund für seinen Tod fand.
    Er fragte sich, wo Lottie war.
    »Glaubt ihr … glaubt ihr, er hatte etwas damit zu tun?«, fragte Monk, als sie weitergingen.
    »Wer? Der Narbenmann?«, fragte Pike.
    »Ja. Hat er dafür gesorgt?«
    »Das bezweifle ich.«
    »Warum?«
    »Es wäre zu einfach, einen einzigen Verrückten für alle bösen Taten der Menschheit verantwortlich machen zu können, nicht wahr? Es wäre einfacher. Und tröstend. Aber es macht das nicht wahrscheinlicher.«
    »Lasst uns schneller gehen«, sagte Hammond. »Ich will mit diesen Leuten nicht sprechen.«
    »Das müssen wir aber. Wir müssen wissen, ob er hier war.«
    »Das war er nicht.«
    »Woher wollen Sie das wissen?«
    »Ich erledige das«, sagte Connelly. »Ich kümmere mich darum.« Er ließ sie zurück und tauchte wieder in die Menge ein.
    Keiner der Leute kannte den Mann mit den Narben. Niemand hatte von ihm gehört. Aber Connelly bemerkte eine seltsame Aufregung in ihnen, eine merkwürdige Art schrecklicher Freude, die sie ruhelos und nervös machte. Es zeigte sich darin, wie sie einander berührten und ansahen, und wie sie miteinander sprachen. Da waren Wut und Selbstzufriedenheit, eine Art Erleichterung. Es war, als würde gleich eine gewaltige Feier beginnen, nur dass sie nicht wussten, was sie da eigentlich feierten oder wo die Feier stattfinden sollte.
    Connelly kehrte mit leeren Händen zu den anderen zurück. Pike warf noch einen Blick auf die Menschen, die sich auf dem Feld versammelt hatten. Das Licht ihrer Fackeln spiegelte sich in seinen Augen und ließ sie in ihren Tiefen flackern wie heruntergedrehte Laternen in Höhlen.
    »Ich habe einmal gehört, dass gewisse Wahrheiten auf den Knochen der Menschen geschrieben stehen«, sagte er. »Das mag so sein. Falls es stimmt, glaube ich, dass sie in einer dem Menschen unbekannten Sprache geschrieben sind, und selbst wenn sie übersetzbar wären, bezweifle ich, dass sie großen Trost spenden würden.« Dann schnaubte er, spuckte aus, strich mit dem Schuh Dreck über den Speichel, und ging den Hügel hinunter zur Straße.
    Sie marschierten den ganzen Tag, legten nur mittags eine kurze Pause ein. Es gab keine Bäume, die sie vor der Sonne schützen konnten, also setzten sie sich schweißgebadet an einen Grabenrand und aßen das gesalzene Schweinefleisch, das ihnen die Hopkins mitgegeben hatten. Danach gingen sie weiter.
    Alles sah gleich aus. Sie schienen überhaupt nicht voranzukommen. Vor ihnen erstreckte sich stets ein Stück brauner Straße, das die Felder durchschnitt. Stets war da der immer gleiche schmale Zaun, der sich der Straße entgegenlehnte. Stets war da das immer gleiche zerbrechlich aussehende gelbe Gras, das so trocken war, dass es scheinbar beim geringsten Atemhauch zerkrümeln würde. Und die Sonne bewegte sich nie und war damit zufrieden, auf ihren Rücken zu sitzen.
    Als sie zu einem kleinen Bach kamen, entschied sich Pike zur Rast, mehr um die Monotonie zu brechen als aus anderen Gründen. Hammond und Connelly behielten die Gegend im Auge, während die anderen sich herabbeugten, um ihre Feldflaschen zu füllen. Die beiden blieben auf der Straße, dann gingen sie auf die andere Seite und lehnten sich an den Zaun, betrachteten das endlose Nichts.
    »Manchmal frage ich mich, ob wir überhaupt Fortschritte machen«, sagte Hammond.
    »Ich erinnere mich, dass vor einer Weile jemand etwas Ähnliches gesagt hat«, entgegnete Connelly.
    »Ja. Aber ich hasse einfach das Gefühl. Das Gefühl, nicht voranzukommen. Ich habe es immer schon gehasst.« Er schaute auf die Felder, sah zu, wie der Wind durch den brüchigen Weizen strich. »Zu Hause gab es diesen Ort. Diese Bar. Sie befand sich unter einem Stoffladen. Sie wissen, wovon ich spreche, eine Keller-Bar?«
    »Ja. Ich weiß.«
    »So eine war das. Als Kind liebte ich diesen Ort. Er war wie eine Art Geheimnis. Ich ging abends daran vorbei und konnte diese vielen kleinen Fenster sehen, die direkt auf den Bürgersteig hinausschauten. In allen brannte Licht. Leute unterhielten sich und lachten und machten Musik. Man konnte die Musik in den Füßen spüren, wenn man vorbeiging. Ich wollte unbedingt dort hinein, wollte sehen, was dort passierte. Wollte an dem Vergnügen

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