Mr. Vertigo
ich hab nichts dagegen. Ich hab getan, was ich wollte, alles andere interessiert mich nicht. Wenn ich jetzt sterbe, sterbe ich wenigstens glücklich.»
Die Augenbrauen des Mannes schoben sich etwa zwei Millimeter nach oben und zuckten erstaunt. Meine kleine Rede hatte ihn aus dem Konzept gebracht, er wusste nicht, wie er reagieren sollte. Ein paar Sekunden Nachdenken brachten ihn offenbar zu dem Entschluss, sich amüsiert zu geben. «Du willst also jetzt sterben», sagte er. «Richtig?»
«Das hab ich nicht gesagt. Sie haben hier die Knarre in der Hand, nicht ich. Wenn Sie abdrücken wollen, kann ich mich wohl kaum dagegen wehren.»
«Und wenn ich nicht schieße? Was soll ich dann mit dir machen?»
«Na, Sie haben grade einen Ihrer Männer verloren, vielleicht kommen Sie ja auf die Idee, ihn zu ersetzen. Ich weiß nicht, wie lange Slim für Sie gearbeitet hat, aber bestimmt lange genug, dass Sie dahintergekommen sind, was für ein abgewichster Schleimscheißer er war. Wenn Sie das nicht wüssten, würd ich jetzt wohl kaum noch hier stehen, oder? Sondern längst mit ’ner Kugel im Herzen auf dem Boden liegen.»
«Slim hatte seine Fehler. Da will ich dir nicht widersprechen.»
«Sie haben keinen großen Verlust erlitten, Mister. Wenn Sie die Vor- und Nachteile abwägen, werden Sie feststellen, dass Sie ohne ihn besser dran sind. Warum für einen nichtsnutzigen Niemand wie Slim Bedauern heucheln? Was immer er für Sie getan hat, ich werde es besser machen. Das verspreche ich.»
«Du nimmst den Mund ganz schön voll, Kleiner.»
«Nach dem, was ich in den letzten drei Jahren durchgemacht habe, ist das auch kein Wunder.»
«Und wie sieht’s mit einem Namen aus? Hast du so was auch?»
«Walt.»
«Walt und?»
«Walt Rawley, Sir.»
«Weißt du, wer ich bin, Walt?»
«Nein, Sir. Keine Ahnung.»
«Bingo Walsh ist mein Name. Schon mal von mir gehört?»
«Na klar. Sie sind Mr. Chicago. Die rechte Hand von Boss O’Malley. Der King vom Loop. Bingo, der Mann an den Hebeln der Macht, der große Drahtzieher und Steuermann.»
Diese Sprüche veranlassten ihn zu einem Lächeln. Wenn jemand die Nummer zwei ist, braucht man ihm bloß zu sagen, er sei die Nummer eins, und schon hat man ihn für sich gewonnen. Und da er die Pistole noch immer nicht gesenkt hatte, war mir sowieso nicht danach, schlecht von ihm zu reden. Solange ich damit meine Haut retten konnte, hätte ich ihm ewig und drei Tage den Rücken gekrault.
«Okay, Walt», sagte er. «Versuchen wir’s. Zwei, drei Monate, dann sehen wir weiter. Eine Art Probezeit zum Kennenlernen. Aber wenn du bis dahin nichts gebracht hast, mach ich dich alle. Dann schick ich dich auf eine lange Reise.»
«Wohl dorthin, wo Slim jetzt ist.»
«Was anderes kann ich dir nicht anbieten. Sag ja oder nein.»
«Scheint mir ein faires Angebot. Wenn ich es nicht bringe, hacken Sie mir mit dem Beil den Kopf ab. Ja, damit kann ich leben. Warum auch nicht, zum Teufel? Wenn ich bei Ihnen nicht ankomme, Bingo, was soll ich dann noch auf der Welt?»
So begann meine neue Karriere. Bingo lernte mich an und weihte mich ein, und allmählich wurde ich sein Mädchen für alles. Die zweimonatige Probezeit war ein ziemlicher Schlauch, aber am Ende trug ich den Kopf noch auf den Schultern, und danach begann mir das Geschäft richtig Spaß zu machen. O’Malley hatte eine der größten Organisationen im Cook County, und Bingo war für den reibungslosen Ablauf zuständig. Spielsalons, Zahlenlotto, Bordelle, Schutzgelderpressung, Spielautomaten – er führte all diese Unternehmen mit fester Hand und war nur dem Boss persönlich verantwortlich. Ich war in einer stürmischen Phase zu ihm gestoßen, in einer Zeit des Übergangs und neuer Gelegenheiten, und als das Jahr zu Ende ging, hatte er seine Stellung als eins der cleversten Talente im Mittleren Westen gefestigt. Und ich hatte das Glück, ihn zum Mentor zu haben. Bingo nahm mich unter seine Fittiche, ich hielt die Augen offen und hörte ihm zu, und mein ganzes Leben nahm eine Wende. Nach drei Jahren Verzweiflung und Hunger hatte ich jetzt Essen im Bauch, Geld in der Tasche und anständige Kleider am Leib. Mit einem Mal ging es wieder voran, und weil ich zu Bingos Leuten gehörte, standen mir alle Türen offen.
Ich begann als sein Laufbursche, machte Besorgungen und andere Kleinigkeiten. Ich zündete ihm die Zigaretten an und brachte seine Anzüge in die Reinigung; ich kaufte Blumen für seine Freundinnen und polierte die Radkappen seines
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