Mr. Vertigo
verlor ich mein Herz an den Baseball, und schon als kleiner Hosenscheißer war ich der eingefleischte Fan der Cardinals, der ich heute noch bin. Ich habe schon erwähnt, wie begeistert ich war, als sie die World Series von 1926 gewannen, aber das war nur ein Beispiel für meine Anhänglichkeit, und nachdem mir Äsop Lesen und Schreiben beigebracht hatte, konnte ich das Los meiner Jungs jeden Morgen in den Zeitungen verfolgen. Von April bis Oktober ließ ich mir keinen einzigen Spielbericht entgehen, und ich kannte die Schlagdurchschnitte sämtlicher Spieler der Mannschaft auswendig, angefangen bei Kanonen wie Frankie Frisch und Pepper Martin bis zum letzten Ersatzspieler, der sich auf der Bank den Hintern plattsitzen musste. Das war in den guten Jahren mit Meister Yehudi so, und das blieb auch in den schlechten Jahren danach so. Als ich auf der Suche nach Onkel Slim das Land durchstreifte, lebte ich wie ein Schatten, aber so trist es auch für mich aussehen mochte, über mein Team hielt ich mich stets auf dem Laufenden. 1930 und 31 holten sie den Titel, und diese Siege trugen viel dazu bei, dass ich den Mut nicht sinken ließ, dass ich all die Nöte und Schwierigkeiten dieser Zeit überstehen konnte. Solange die Cardinals gewannen, war die Welt nicht ganz verloren, war es unmöglich, in totale Verzweiflung zu geraten.
Und jetzt tritt Dizzy Dean auf den Plan. 1932 fiel die Mannschaft auf den siebten Platz zurück, aber das war eher Nebensache. Dean war der stärkste, der auffälligste, der großmäuligste Neuzugang, der je in einer Major League spielte, und er brachte es fertig, einen lausigen Club in einen chaotischen, lärmenden Bauernzirkus zu verwandeln. Aber trotz aller Aufschneiderei und Albernheiten war dieser Trampel so ziemlich der beste Pitcher, den man sich diesseits der Himmelstore denken kann. Mit seinem Gummiarm gelangen ihm die phantastischsten Würfe; seine Körperbeherrschung war geradezu unheimlich; wenn er ausholte, geriet ein wundersames Räderwerk von Armen, Beinen und Kraft in Gang, ein wahres Fest für die Augen. Als ich nach Chicago kam und Bingo mich unter seine Fittiche nahm, war Dizzy ein anerkannter Star, einer der Spitzenspieler von Amerika. Die Leute liebten seine Frechheit und sein Talent, seine verrückte Ausdrucksweise, seine groben, kindischen Späße und obszönen Sprüche, und auch ich liebte ihn, ich liebte ihn nicht weniger als jeder andere. Da es mit mir inzwischen aufwärtsging, konnte ich mir jedes Spiel ansehen, wann immer die Cardinals nach Chicago kamen. Als Dean 33 einen neuen Rekord aufstellte und in einem Spiel siebzehn Batters ausmachte, sahen sie endlich wieder wie eine Erstliga-Mannschaft aus. Sie hatten ein paar neue Spieler eingekauft, und mit Brechern wie Joe Medwick, Leo Durocher und Rip Collins, die immer für eine Steigerung gut waren, kam richtig Stimmung in die Bude. 34 waren sie die Größten, und ich habe wohl keine Baseball-Saison so genossen wie diese. Dizzys kleiner Bruder Paul entschied neunzehn Spiele, Dizzy selbst dreißig, und die Mannschaft holte einen Rückstand von zehn Spielen auf, zog an den Giants vorbei und sicherte sich die Meisterschaft. In dem Jahr wurde die World Series zum ersten Mal im Radio übertragen, und ich konnte mir zu Hause in Chicago alle sieben Spiele anhören. Im ersten Spiel schlug Dizzy die Tigers, und als Frisch ihn im vierten als Ersatzläufer einsetzte, bekam der Trottel einen Ball an die Birne und kippte bewusstlos um. Am nächsten Tag verkündeten die Schlagzeilen: AUF RÖNTGENAUFNAHMEN VON DEANS KOPF NICHTS ZU FINDEN. Am folgenden Nachmittag spielte er wieder als Pitcher, verlor aber, und dann, bloß zwei Tage darauf, erledigte er Detroit im letzten Spiel im Alleingang mit 11–0 und lachte sich jedes Mal krumm, wenn die Schlagmänner der Tigers seine Würfe verfehlten. Die Zeitungsfritzen dachten sich alle möglichen Namen für diese Mannschaft aus: die Galoppierenden Gangster, die Muskelmänner vom Mississippi, die Karacho-Kardinäle. Sie trugen jedenfalls gern dick auf, und als der Spielstand in den letzten Innings keine Hoffnung mehr für die Tigers zuließ, reagierten deren Fans auf ihre Weise und nahmen Medwick auf dem Left Field zehn Minuten lang mit Obst und Gemüse unter Beschuss. Die Meisterschaft konnte erst beendet werden, als Judge Landis, der Liga-Beauftragte, persönlich einschritt und Medwick für die letzten drei Outs vom Spielfeld holte.
Sechs Monate später saß ich mit Bingo und den Jungs auf der
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