Mr. Vertigo
bloß meinen Nachtclub, und auch wenn Bingo mit fünfzig Prozent an den Einnahmen beteiligt war, würde ich immer noch einen guten Schnitt machen. Es brachte eine Menge Vorteile, ihn als Partner zu haben, und mit der Vorstellung, es ohne ihn schaffen zu können, hätte ich mir glatt in die Tasche gelogen. Seine Beteiligung garantierte mir Schutz vor O’Malley (der automatisch der dritte Partner wurde) und hielt mir die Bullen vom Hals. Und wenn ich dann noch seine Beziehungen zur örtlichen Konzessionsvergabestelle, zu Wäschereien und Künstleragenturen in Betracht zog, schienen mir diese fünfzig Prozent Verlust gar keine so schlechte Investition zu sein.
Das Lokal bekam den Namen «Mr. Vertigo». Es lag mitten im Stadtzentrum an der West Division und North LaSalle, und seine blinkende Neonreklame ließ im stetigen Takt von Rosa und Blau abwechselnd eine Tänzerin und einen Cocktail-Shaker vor dem nächtlichen Himmel aufleuchten. Der Rumbarhythmus dieser Lichter beschleunigte den Puls und erwärmte das Blut, und wenn einem das Herz erst im Gleichklang mit diesen verspielten Synkopen schlug, kam man gar nicht mehr von dieser Musik los. Die Inneneinrichtung war eine Mischung aus vornehm und primitiv – protziger Großstadtluxus, verblendet mit ordinären Zweideutigkeiten und dem behaglichen Charme eines Gasthauses. Ich machte mir viel Arbeit damit, diese Atmosphäre herzustellen, und plante sämtliche Feinheiten und Effekte bis ins kleinste Detail: vom Lippenstift des Garderobenmädchens bis zur Farbe des Tafelgeschirrs, vom Design der Speisekarten bis zu den Socken des Barkeepers. Es war Platz für fünfzig Tische, eine große Tanzfläche, eine erhöhte Bühne und eine lange Mahagoni-Bar. Den Laden so einzurichten, wie ich es haben wollte, kostete mich jeden Cent der fünfzigtausend, aber als ich ihn schließlich am 31. Dezember 1937 eröffnete, war er denn auch absolut perfekt. Es war eine der tollsten Silvesterpartys in der Geschichte von Chicago, und buchstäblich über Nacht war das Mr. Vertigo etabliert. In den nächsten dreieinhalb Jahren verbrachte ich jeden Abend dort, schlenderte in Lackschuhen und weißer Smokingjacke zwischen den Gästen herum und verbreitete mit unbekümmertem Lächeln und flotten Sprüchen gute Laune. Ich fühlte mich pudelwohl und genoss jede Minute in diesem lärmenden Etablissement. Wenn ich nicht alles verpfuscht und mein Leben ruiniert hätte, wäre ich heute wahrscheinlich immer noch da. So aber hatte ich bloß diese dreieinhalb Jahre. Ich weiß, ich trage die alleinige Verantwortung für meinen Sturz, aber das macht die Erinnerung daran nicht weniger schmerzlich. Ich war ganz oben, als ich ins Straucheln geriet, und es endete mit einer kompletten Katastrophe, mit einem spektakulären Kopfsprung ins Nichts.
Aber kein Gejammer. Ich hatte viel Spaß für mein Geld, und ich werde nie das Gegenteil behaupten. Der Club entwickelte sich zur ersten Adresse in Chicago, und auf meine bescheidene Weise war ich nicht weniger prominent als viele der Bonzen, die meine Gäste waren. Ich verkehrte mit Richtern, Stadträten und Baseballspielern, und bei dem Andrang all der Revuegirls und Tänzerinnen für die große Fleischbeschau, die ich jeden Abend um elf und eins veranstaltete, konnte ich mich auch nicht über Mangel an Betthasen beklagen. Dixie und ich waren noch zusammen, als das Mr. Vertigo aufmachte, aber meine Affären strapazierten ihre Geduld dermaßen, dass sie mir nach sechs Monaten den Laufpass gab. Danach kam Sally, dann Jewel, dann ein Dutzend andere: langbeinige Brünette, kettenrauchende Rotschöpfe, breitärschige Blondinen. Einmal lebte ich mit zwei Mädchen gleichzeitig zusammen, Cora und Billie, zwei arbeitslosen Schauspielerinnen. Ich hatte beide gleich gern, sie mochten einander genauso sehr, wie sie mich mochten, und indem wir uns zusammentaten, gelangen uns ein paar interessante Variationen auf die alte Melodie. Hier und da führte mein Lebenswandel zu medizinischen Komplikationen (Tripper, Filzläuse), aber nichts, was mich für längere Zeit außer Gefecht setzte. Man hätte es ein mieses Leben nennen können, aber ich war glücklich mit meinem Los und kannte kein anderes Ziel, als immer so weiterzumachen. Doch dann, im September 1939, nur drei Tage nach dem Einmarsch der Deutschen in Polen, betrat Dizzy Dean mein Lokal, und das war der Anfang vom Ende.
Um das zu erklären, muss ich zurückgreifen, weit zurück, bis zu meinen Flegeljahren in Saint Louis. Dort
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