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Mr. Vertigo

Titel: Mr. Vertigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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von den billigen Plätzen. Das ist meine Sache, und da lasse ich mir nicht reinreden.»
    Ich fand nicht den Mut, noch weiter darin rumzubohren. Meister Yehudi war ein Genie und ein Hexenmeister, doch ebenso stand fest, dass er von Frauen keinen Schimmer hatte. Mrs. Witherspoon hatte mir ihre geheimsten Gedanken anvertraut, ich hatte mir oft genug ihre ordinären, betrunkenen Geständnisse angehört und wusste daher, dass der Meister nur bei ihr landen würde, wenn er den Stier bei den Hörnern packte. Sie wollte sich nicht hinhalten lassen, sondern erstürmt und erobert werden, und je länger er schwankte, desto schlechter standen seine Chancen. Aber wie sollte man ihm das beibringen? Ich konnte es nicht. Nicht, wenn mir meine Haut lieb war, drum hielt ich den Mund und ließ dem Meister seinen Willen. Die verdammte Gans gehört ihm, sagte ich mir, und wenn er so wild drauf ist, sie schmoren zu lassen, warum soll ich mich ihm in den Weg stellen?
    In Wichita machten wir uns dann gleich an die Arbeit und schmiedeten Pläne für einen neuen Anfang. Zu den Wasserflecken auf den Sitzen sagte Mrs. W. kein Wort, aber ich denke, sie verbuchte das als geschäftlichen Aufwand, als Teil des Risikos, das man eingehen muss, wenn man ans große Geld kommen will. Bis zum Abschluss der Vorbereitungen – Termine festlegen, Handzettel und Plakate drucken, die neue Nummer proben – vergingen ungefähr drei Wochen, und in dieser Zeit waren der Meister und Mrs. Witherspoon ziemlich nett zueinander, viel verliebter, als ich erwartet hatte. Vielleicht hab ich mich geirrt, dachte ich, und der Meister weiß genau, was er tut. Aber am Tag unserer Abreise beging er dann einen Fehler, einen taktischen Schnitzer, der die Schwäche seiner ganzen Strategie aufdeckte. Ich stand vor der Haustür und war Augenzeuge, als der Meister und Mrs. Witherspoon Abschied voneinander nahmen; eine schmerzliche Szene, ein trauriges kleines Kapitel in der Geschichte des Liebeskummers.
    Er sagte: «Mach’s gut, Schwester. In einem Monat und drei Tagen sehen wir uns wieder.» Und sie sagte: «Dann mal los, Männer – auf in die wilde blaue Ferne.» Danach trat verlegene Stille ein, und um die Peinlichkeit zu überspielen, riss ich meine große Klappe auf und sagte: «Was meinen Sie, Madam? Warum steigen Sie nicht einfach ein und fahren mit?»
    Ich sah ihre Augen aufleuchten, als ich das sagte, und so sicher, wie der Hase hoppelt, hätte sie sechs Jahre ihres Lebens drum gegeben, alles stehen- und liegenzulassen und mit uns loszufahren. Sie wandte sich an den Meister und fragte: «Na, was meinst du? Soll ich mitkommen oder nicht?» Und er, dieser aufgeblasene Esel, klopfte ihr auf die Schulter und antwortete: «Das kannst du selbst entscheiden, meine Liebe.» Ihre Augen trübten sich kurz, aber noch war nicht alles verloren. In der Hoffnung, doch noch die richtigen Worte von ihm zu hören, unternahm sie einen letzten Versuch: «Nein, du entscheidest. Ich will euch auf keinen Fall im Weg sein.» Und er sagte: «Du bist ein freier Mensch, Marion. Es steht mir nicht zu, dir zu sagen, was du tun sollst.» Und das war das Ende. Das Leuchten in ihren Augen erlosch; ihr Gesicht verschloss sich zu einer harten, spöttischen Maske; und dann sagte sie achselzuckend: «Vergiss es. Ich hab hier sowieso genug zu tun.» Sie zwang sich zu einem tapferen kleinen Lächeln und fügte hinzu: «Schick mir ’ne Postkarte, wenn du mal Zeit hast. Soviel ich weiß, kosten sie noch immer bloß einen Penny das Stück.»
    Und das war’s, Leute. Die Chance des Lebens – vorbei und vertan. Der Meister hatte die Gelegenheit verstreichen lassen, und was das Schlimmste war, es ist ihm wohl noch nicht mal aufgefallen.

Diesmal nahmen wir einen anderen Wagen – einen gebrauchten schwarzen Ford, den Mrs. Witherspoon uns nach der Rückkehr aus Larned besorgt hatte. Das Wundermobil, wie sie die Karre getauft hatte, konnte sich zwar in Größe und Eleganz nicht mit dem Chrysler messen, reichte aber für unsere Zwecke vollkommen aus. An einem verregneten Morgen Mitte September brachen wir auf, und als Wichita eine Stunde hinter uns lag, hatte ich die rührselige Szene vor der Haustür schon vergessen. Mein geistiges Augenmerk war längst auf Oklahoma gerichtet, die erste Station unserer Tournee, und als wir zwei Tage später nach Redbird kamen, war ich gespannt wie ein Springteufel und kribbliger als ein Haufen Ameisen. Diesmal wird es klappen, sagte ich mir. Ja, hier geht die Sache

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