Mr. Vertigo
verstört, dass es mir vollkommen schnuppe war, ob mir das Hirn in tausend Stücke zersprang. Lieber sterben als meine Kräfte verlieren, sagte ich mir. Wenn ich nicht Walt der Wunderknabe sein konnte, wollte ich überhaupt niemand sein.
Es ging schlecht in Reading, viel schlechter, als ich befürchtet hatte. Das Wagnis zahlte sich nicht nur nicht aus, sondern hatte gradezu katastrophale Folgen. Wie vorauszusehen, brach ich nach der Show zusammen, bloß dass ich diesmal nicht in der Garderobe aufwachte. Zwei Bühnenarbeiter mussten mich über die Straße zum Hotel tragen, und als ich fünfzehn, zwanzig Minuten später die Augen aufschlug, brauchte ich gar nicht erst aufzustehen, um die Schmerzen zu spüren. Sie setzten ein, sobald mir das Licht in die Pupillen fiel. Hundert Straßenbahnen sprangen aus den Schienen und verkeilten sich hinter meiner linken Schläfe; Flugzeuge stürzten dort ab; Lastwagen stießen dort zusammen; und dann machten sich zwei kleine grüne Kobolde ans Werk, mir mit Hämmern Pflöcke in die Augäpfel zu treiben. Ich wälzte mich auf dem Bett herum und schrie nach jemand, der mich von dieser Qual erlöste, und als der Meister endlich den Hotel-Quacksalber aufgetrieben hatte, der mir eine Spritze verpassen konnte, war ich kurz vorm Durchdrehen, ein lichterloh brennender Schlitten, der trudelnd ins finstere Tal des Todes schoss.
Zehn Stunden später wachte ich in einem Krankenhaus in Philadelphia auf, und dort blieb ich zwölf Tage. Die Kopfschmerzen hielten noch achtundvierzig Stunden an, und wegen der starken Beruhigungsmittel setzte meine Erinnerung erst wieder ein, als ich am dritten Tag endlich aufwachte und feststellte, dass die Schmerzen weg waren. Danach wurden alle möglichen Tests und Behandlungen an mir ausprobiert. Die Neugier der Ärzte war unerschöpflich, und als sie erst in Fahrt gekommen waren, ließen sie mir keine Ruhe mehr. Stündlich kam ein anderer Arzt in mein Zimmer und prüfte mich auf Herz und Nieren. Man klopfte mir mit Hämmern auf die Knie, man rollte Zackenrädchen über meine Haut und leuchtete mir mit Taschenlampen in die Augen; ich gab ihnen Urin, Blut und Stuhl; sie horchten mein Herz ab, spähten mir in die Ohren und röntgten mich von Kopf bis Fuß. Ich lebte bloß noch für die Wissenschaft, und die Jungs in den weißen Kitteln machten ihre Sache gründlich. Nach ein, zwei Tagen hatten sie eine zuckende nackte Bazille aus mir gemacht, eine Mikrobe in einem Gewirr von Nadeln, Stethoskopen und Zungenspateln. Wenn wenigstens die Schwestern einen erfreulichen Anblick geboten hätten – aber ich bekam nur alte und hässliche mit fetten Hintern und Stoppelkinn zu sehen. Es waren die reinsten Schießbudenfiguren, und wann immer eine von ihnen kam, um meine Temperatur zu messen oder die Fieberkurve abzulesen, machte ich die Augen zu und stellte mich schlafend.
Meister Yehudi saß in dieser ganzen schrecklichen Zeit an meiner Seite. Die Presse hatte Wind von meinem Aufenthaltsort bekommen, und in der ersten Woche waren die Zeitungen voll von Berichten über meinen Zustand. Der Meister las mir täglich die Artikel vor. Es tröstete mich, mir diesen Klamauk anzuhören, aber sobald er mit dem Lesen aufhörte, senkten sich wieder Langeweile und Gereiztheit auf mich herab. Dann kam der New Yorker Börsenkrach und verdrängte mich von den Titelseiten. Ich achtete nicht sonderlich darauf, nahm aber an, es handele sich bloß um eine vorübergehende Krise, und wenn die Sache mit diesem Schwarzen Dienstag erst mal vorbei wäre, würde ich in die Schlagzeilen zurückkehren. All diese Artikel über Leute, die aus Fenstern sprangen und sich Kugeln in den Kopf jagten, erschienen mir als bloße Sensationshascherei, als Märchen, über die man achselzuckend hinweggehen konnte. Mich interessierte bloß eins: Ich wollte endlich die Tournee fortsetzen. Die Kopfschmerzen waren weg, ich fühlte mich phantastisch, hundertprozentig normal. Jeden Morgen, wenn ich die Augen aufschlug und Meister Yehudi neben mir am Bett sitzen sah, begann ich den Tag mit der Frage: Wann komm ich hier raus? Und jeden Tag gab er mir dieselbe Antwort: Sobald die Untersuchungsergebnisse da sind.
Als sie dann kamen, fiel mir ein Stein vom Herzen. Die ganze Piesackerei, der ganze Hokuspokus mit Schläuchen, Saugnäpfen und Gummihandschuhen hatte den Ärzten bloß bewiesen, dass mir gar nichts fehlte. Keine Gehirnerschütterung, kein Hirntumor, keine Blutkrankheit, keine Gleichgewichtsstörung im Innenohr:
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