Mr. Vertigo
Madison Square Garden und das Soldier’s Field buchen und so nie weniger als fünfzehntausend Zuschauer haben. Er sprach von einem «Triumphzug durch ganz Amerika», und als er mit seiner Predigt fertig war, klopfte mir das Herz viermal so schnell wie sonst. Gott, konnte dieser Mann reden. Sein Mundwerk war eine der tollsten Reklamemaschinen aller Zeiten, und wenn er es einmal richtig in Fahrt kommen ließ, quollen die Träume daraus hervor wie Rauch aus einem Schornstein.
«Mensch, Boss», sagte ich. «Wenn Sie so eine Tournee gedeichselt kriegen, scheffeln wir Millionen.»
«Kein Problem, das zu deichseln», sagte er. «Mach nur so weiter, dann haben wir’s schon in der Tasche. Mehr ist nicht nötig, Walt. Du brauchst nur weiterzumachen wie bisher, und niemand kann Rawleys Triumphzug aufhalten.»
Unterdessen bereiteten wir uns gedanklich auf meinen ersten Auftritt in New York vor. Dort sollten wir zwar erst zu Thanksgiving eintreffen, einem Wochenende, das noch in weiter Ferne lag, aber wir wussten beide, dass dies der Höhepunkt der Saison, der Gipfel meiner bisherigen Karriere sein würde. Allein der Gedanke daran machte mich schwindlig. Zehn Bostons und zehn Philadelphias zusammen waren nicht so viel wert wie ein New York. Achtundsechzig Vorstellungen in Buffalo und dreiundneunzig in Trenton zählten weniger als eine einzige Minute auf einer Bühne in dieser Stadt der Städte. New York war das Allergrößte, die Weltmetropole des Showbusiness, und alle meine Erfolge in anderen Städten waren erst dann etwas wert, wenn ich meine Kunst am Broadway vorgeführt hatte. Drum hatte der Meister New York ja auch so spät eingeplant. Wenn ich dort auftrat, sollte ich ein alter Kämpe sein, ein routinierter, kampferprobter Veteran, der wusste, wie Kugeln schmeckten, und jeden Schlag einstecken konnte. Bis dahin blieb mir noch ausreichend Zeit, einer zu werden. Am zwölften Oktober hatte ich vierundvierzig Theatervorstellungen hinter mir und fühlte mich zu allen Schandtaten bereit, aber noch immer lag ein ganzer Monat vor uns. Eine solche Spannung hatte ich noch nie erlebt. New York beschäftigte mich Tag und Nacht, bis ich es nach einer Weile nicht mehr auszuhalten glaubte.
Am dreizehnten und vierzehnten traten wir in Richmond auf, am fünfzehnten und sechzehnten in Baltimore, dann ging es weiter nach Scranton, Pennsylvania. Dort lieferte ich eine gute Vorstellung ab, jedenfalls war sie fehlerfrei und nicht schlechter als die anderen, aber unmittelbar nach dem Ende der Show, als ich meine Verbeugung machte und der Vorhang fiel, brach ich ohnmächtig zusammen. Bis dahin hatte ich mich vollkommen in Ordnung gefühlt und war locker und selbstbewusst wie immer in der Luft herumspaziert, doch als ich dann wieder mit beiden Füßen auf der Bühne stand, hatte ich plötzlich das Gefühl, zehntausend Pfund zu wiegen. Ich hielt mich grade noch lang genug aufrecht, um das Lächeln, die Verbeugung, das Fallen des Vorhangs hinter mich zu bringen, dann versagten mir die Knie, mein Rücken wurde schlapp, und ich stürzte zu Boden. Als ich fünf Minuten später in der Garderobe die Augen aufschlug, fühlte ich mich zwar noch leicht benommen, aber das Schlimmste war anscheinend vorüber. Doch dann stand ich auf, und genau in dem Moment kam der Kopfschmerz wieder, durchfuhr mich wie ein greller, schneidender Blitz. Ich versuchte einen Schritt nach vorn zu machen, aber der Raum um mich herum wogte und wallte wie eine Bauchtänzerin im Zerrspiegel, und ich konnte nicht sehen, wo ich hinging. Als ich den zweiten Schritt machte, geriet ich schon aus dem Gleichgewicht. Wenn mich der Meister nicht aufgefangen hätte, wäre ich noch mal auf dem Bauch gelandet.
In dem Augenblick sahen wir darin beide keinen Grund zur Panik. Kopfschmerz und Schwindel konnten alle möglichen Ursachen haben – Erschöpfung, eine leichte Grippe, eine Mittelohrentzündung –, aber um kein Risiko einzugehen, rief der Meister Wilkes-Barre an und sagte die für den nächsten Abend geplante zweite Vorstellung in Scranton ab. Im Hotel schlief ich tief und fest, und am nächsten Morgen fühlte ich mich wieder ganz gesund, vollkommen frei von Schmerzen und Beschwerden. Das widersprach aller Logik, aber wir akzeptierten es als einen dieser glücklichen Zufälle, über die man nicht weiter nachzudenken braucht. Wir freuten uns über den freien Tag und brachen gutgelaunt nach Pittsburgh auf; dort angekommen, bezogen wir zunächst unser Hotel und sahen uns dann zur
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