Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
Vom Netzwerk:
bin, verliere ich mich an sie. Diese Augen! Und sie war immer so lustig und wild. Sie ist wie ein Lichtstrahl, aber auch wie ein Schlag auf den Kopf.« Er lächelte, als erinnerte er sich gerade an einen ganz bestimmten Schlag auf den Kopf.
    »Klingt mir verdächtig nach Liebe«, sagte der Major.
    »Wir sollen nicht aus Liebe heiraten, Major. Ich will nicht zu den Männern gehören, die die Regeln ihrer Religion verbiegen und verformen wie einen billigen Korb, nur um ihr bequemes Leben zu rechtfertigen und jedes körperliche Verlangen zu befriedigen.«
    »Aber Ihre Familie hat eingewilligt. Sie haben eine Chance bekommen.«
    Abdul Wahid starrte ihn an, und der Major erkannte zu seiner großen Besorgnis etwas Verhärmtes, Elendes in diesem Gesicht.
    »Ich will nicht der Grund dafür sein, dass meine Familie sich dazu erniedrigt, heuchlerisch zu werden. Sie haben mich des Glaubens wegen von ihr getrennt. Ich fand das nicht schön, aber ich habe es verstanden und ihnen vergeben. Jetzt habe ich Angst, sie könnten ihren Widerstand nur deshalb aufgeben, um sich einen finanziellen Vorteil zu sichern.«
    »Ihre Tante hat also angeboten, diese Verbindung zu unterstützen.«
    »Wenn der Glaube nicht mehr wert ist als ein kleiner Laden in einem hässlichen Dorf, welchen Sinn hat dann mein Leben – oder überhaupt jedes Leben?« Abdul Wahid sackte auf seinem Stuhl zusammen.
    »Sie gibt den Laden auf«, sagte der Major. Er formulierte den Satz nicht als Frage, weil er die Antwort schon kannte. Dass Abdul Wahid in einem einzigen Satz nicht nur das Opfer seiner Tante, sondern auch die idyllische Schönheit von Edgecombe St. Mary herabgesetzt hatte, erboste ihn so sehr, dass ihm die Worte fehlten. Lange betrachtete er Abdul Wahid und sah in ihm einmal mehr den verdrießlichen, widerwärtigen jungen Mann.
    »Sie gibt den Laden auf – das ist ein immens großzügiges Geschenk von ihr«, fügte Abdul Wahid hinzu und spreizte die Finger in einer versöhnlichen Geste. »Es muss nur noch entschieden werden, wo sie wohnen soll.« Er seufzte. »Aber was gebe ich auf, wenn ich das Angebot annehme?«
    »Als Erstes vielleicht Ihre unglaubliche Arroganz«, schlug der Major vor. Den bissigen Ton hatte er sich nicht verkneifen können.
    Abdul Wahid riss die Augen auf, und der Major empfand boshafte Freude darüber, ihn schockiert zu haben.
    »Ich verstehe nicht.«
    »Passen Sie auf – es ist immer so schön ordentlich und bequem, die Welt nur schwarz oder weiß zu sehen«, sagte der Major in leicht abgemildertem Tonfall. »Dieser Leidenschaft frönen vor allem junge Männer, die unbedingt ihre verstaubten älteren Verwandten hinwegfegen wollen.« Er stockte, um seine Gedanken der Aufmerksamkeitsspanne eines Jugendlichen entsprechend kurz genug zu formulieren. »Allerdings geht weltanschauliche Starrheit fast immer mit dem völligen Fehlen von Bildung oder von echten Erfahrungen einher und wird häufig durch sonderbare Frisuren und eine Aversion gegen das Baden verstärkt. Für Sie gilt das natürlich nicht – Sie sind sehr reinlich.« Abdul Wahid wirkte verwirrt, was schon einmal besser war als das böse Gesicht.
    »Sie sind wirklich merkwürdig«, sagte er. »Wollen Sie damit sagen, dass es falsch und dumm ist zu versuchen, ein strenggläubiges Leben zu führen?«
    »Nein, ich halte es für bewundernswert«, erwiderte der Major. »Aber ich glaube, ein strenggläubiges Leben muss mit der Selbstermahnung beginnen, dass die erste Tugend vor Gott die Demut ist.«
    »Ich lebe so einfach, wie es nur geht.«
    »Das habe ich immer an Ihnen bewundert, und ich fand es geradezu herzerfrischend, einen jungen Mann zu erleben, der nicht von materiellen Bedürfnissen geprägt ist.« Noch während er das sagte, dachte er an Roger und seinen aus allen Poren dringenden Ehrgeiz und hatte plötzlich einen bitteren Geschmack im Mund. »Ich fordere Sie nur dazu auf, einmal darüber nachzudenken – einfach nur darüber nachzudenken –, ob Ihre Ansichten denselben demütigen Quellen entspringen wie Ihr Alltagsleben.«
    Abdul Wahid sah den Major an. In seinen Augen flackerte etwas wie Belustigung, und er lachte wieder kurz und bellend auf.
    »Wie viele Jahrhunderte lang sollen wir den Briten eigentlich noch zuhören, wenn sie Demut von uns fordern, Major?«
    »Das wollte ich damit ganz und gar nicht sagen!«, entgegnete der Major erschrocken.
    »Ich mache ja nur Spaß«, sagte Abdul Wahid. »Sie sind ein kluger Mann, Major, und ich werde gründlich –

Weitere Kostenlose Bücher