Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
Haltung.«
»Ich habe eine realistische Haltung.«
»Ich wusste gar nicht, dass Ladenbesitzerinnen so ketzerisch sein können. Sie erstaunen mich.«
»Also – reden Sie mit ihm?« Ihre braunen Augen waren unverwandt auf ihn gerichtet.
»Ich mache alles, worum Sie mich bitten.« Der Major sah die Dankbarkeit in ihrer Miene und glaubte, auch ein kleines Glücksgefühl darin zu erkennen. Er wandte sich ab und begann, mit der Spitze des Spazierstocks im dichten Unkraut zu stochern. »Sie sollen wissen, dass ich Ihnen jederzeit zur Verfügung stehe.«
»Es gibt sie also doch noch, die Ritterlichkeit.«
»Solange ich an keinem Lanzenstechen teilnehmen muss, bin ich gerne Ihr Ritter.«
Gerade als der Major dachte, dass er sich an keinen schöneren Sonntagnachmittag in den letzten Jahren erinnern könne, überquerte eine Frau die unterhalb von ihnen liegende Grasfläche und zog den kleinen Jungen und seinen Hund von George weg. Mutter und Sohn entfernten sich Richtung Parkplatz, als wollten sie wegfahren, aber nach etwa fünfzig Metern blieb die Frau stehen, schüttelte den Kleinen am Arm und redete wütend auf ihn ein. Dann durfte er mitsamt Hund wieder loslaufen. George, der aufgestanden war und den beiden nachgeschaut hatte, trat langsam und mit hängenden Schultern an den Tisch.
»Was ist passiert, George?«, fragte Mrs. Ali. »War die Frau grob zu dir?«
George zuckte mit den Achseln.
»Nun sag schon«, befahl der Major, sorgsam darauf bedacht, nicht allzu ruppig zu klingen. »Was ist los?«
»Nichts«, antwortete George. Dann seufzte er. »Nur dass seine Mum gesagt hat, dass er nicht mit mir spielen darf.«
»Manche Leute sind einfach dermaßen dumm!« Der Major erhob sich halb von seinem Sitz und sah, dass es sich um die Frau handelte, die kurz zuvor herumgeschrien hatte – die Mutter von Eddie. Er wäre ihr nachgelaufen, aber sie war sehr korpulent und wirkte, auch wenn sie sich nur langsam und schwerfällig bewegte, äußerst streitlustig.
»Das tut mir leid, George«, sagte Mrs. Ali. Sie legte dem Major die Hand auf den Arm, als wollte sie ihn zurückhalten, und der Major ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken.
»Daheim spielt auch keiner mit mir.«
»Du hast doch bestimmt viele Freunde«, sagte der Major. »Nette Burschen, wie du selbst!«
George warf ihm einen so mitleidigen Blick zu, als wäre er selbst der alte Mann und der Major ein ahnungsloses Kind. »Wenn man eine Mum, aber keinen Dad hat, spielen sie nicht mit einem.«
Der Major war so verblüfft, dass er George reflexartig den Teller mit dem Gebäck reichte. Erst als der Junge seine Zähne in den Zuckerguss schlug, fiel dem Major ein, dass er dem eigenen Sohn nie mehr als ein Gebäckstück zum Tee genehmigt und ihn manchmal, in bewusst unregelmäßig gehaltenen Abständen, gezwungen hatte, ganz ohne Süßes auszukommen, um ihn nicht zu verwöhnen. In diesem Fall aber erschien ihm ein zweites Teilchen als das einzige zur Verfügung stehende Trostmittel.
»Ach, George, deine Mutter und deine Tante Noreen lieben dich so sehr, und deine Großmutter hatte dich auch sehr lieb«, sagte Mrs. Ali, während sie um den Tisch herumlief, auf dem leicht schmutzigen Beton niederkniete und die Arme um den Jungen schlang. »Und ich liebe dich auch sehr.« Sie küsste ihn und strich ihm über den Kopf; George wand sich und versuchte zu verhindern, dass sich das Gebäckstück in ihren Haaren verfing. »Daran musst du immer denken, wenn jemand gemein zu dir ist.«
»Du bist ein sehr intelligenter kleiner Kerl«, sagte der Major, als Mrs. Ali den Jungen aus ihrer Umarmung entließ. George warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Der Major beschloss, ihm lieber doch nicht mit dem Spruch »Stöcke und Steine brechen meine Gebeine, aber Worte tun mir nicht weh« zu kommen. Er griff nach Georges schmutziger, klebriger Hand und sagte: »Es wäre mir eine Ehre, wenn du mich als deinen Freund betrachten würdest.«
»Okay«, sagte George und schüttelte ihm die Hand. »Aber was kannst du sonst noch so spielen außer Drachensteigenlassen?«
Mrs. Ali lachte, aber der Major versuchte nach Kräften, eine ernste und nachdenkliche Miene zu bewahren.
»Hast du schon mal Schach gespielt?«, fragte er. »Ich glaube, ich könnte es dir beibringen.«
Auf der Rückfahrt war George so müde vom Herumsausen und so satt vom Kuchen, dass er hinten im Auto einschlief. Der Major wählte die landschaftlich reizvollste Route. Mrs. Ali zeigte sich entzückt von den
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