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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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Das Schaufenster war weg, und der Laden selbst, kaum wiederzuerkennen mit dem neuen Bogenfenster und den türkisfarbenen Fensterläden, trug die Aufschrift »Harris Jones & Söhne, Feinkost und Pâtisserie«. Vor der ebenfalls neuen Tropfenglastür standen ein Weidenkorb mit Äpfeln und ein alter, mit Topfpflanzen gefüllter Hundewagen aus Metall. Ein Teeladen, eine Hutmacherei und ein Geschäft für Reit- und Schießbedarf waren hinzugekommen. Der Major erstarrte vor Schreck.
    »Mit Blick auf die Zukunft des Dagenham’schen Grundbesitzes«, sagte Ferguson, »hat mich mein guter Freund Lord Dagenham gefragt, wie er sein Land nutzbar machen könnte, um das finanzielle Fundament des Anwesens zu verstärken, gleichzeitig aber die Highlights der englischen Landschaft zu bewahren.«
    »›Keine Einkaufszentren!‹, habe ich ihm gesagt!«, warf Dagenham ein. Die kleine Bankergruppe lachte auf.
    »Seine Frage konnte ich erst beantworten, nachdem ich die Gelegenheit erhalten hatte, Loch Brae Castle zu kaufen und am eigenen Leib zu erfahren, was es heißt, für ein ländliches Gebiet verantwortlich zu sein.« Ferguson schob eine Kunstpause ein und legte die Hand aufs Herz, als wollte er einen Treueschwur leisten. »Verantwortung zu tragen für das Leben all der Kleinbauern und für das Land selbst, das unseren Schutz braucht.« Die Banker wirkten so irritiert, als würde er plötzlich in einer anderen Sprache sprechen. »Und so haben wir gemeinsam unsere Vision eines in Großbritannien bisher beispiellosen Luxus-Bauprojekts entwickelt. St. James Homes, mein Unternehmen, nutzt die Verfügbarkeit von Baubewilligungen für neue, architektonisch anspruchsvolle Siedlungen im ländlichen Raum. Wir werden ein ganzes Dorf aus repräsentativen Herrenhäusern errichten und das Dorf selbst zu einem Servicezentrum für diese Ansiedlung umgestalten.« Während er Luft holte, beugten sich die Banker hinunter und gingen in die Hocke, um das Dorf auf der Tischplatte gründlicher in Augenschein zu nehmen. Die gymnastischen Übungen fielen ihnen nach dem üppigen Essen nicht leicht; die Fragen, die sie stellten, wurden immer wieder von lautem Ächzen und Keuchen unterbrochen. »Wo ist der Einzelhandelskorridor?« »Besteht eine Anbindung zur Autobahn?« »Wie hoch ist der Quadratmeterpreis im Vergleich zu Tunbridge Wells?«
    »Gentlemen, Gentlemen – mein Kollege Mr. Sterling und ich sind gern bereit, Ihre Fragen zu beantworten.« Er grinste, als wäre der Deal bereits abgewickelt. »Drüben im Haus liegen Informationsbroschüren für Sie bereit. Ich schlage vor, dass Sie die Besichtigung des Modells jetzt abschließen, wir ins Haus gehen und das Finanzielle im Warmen besprechen.«
     
    Nachdem auch der letzte Banker gegangen war, blieb der Major vor dem Modell stehen. Allein mit seinem Dorf, behielt er die Hände in den Taschen, um nicht der Versuchung zu erliegen, die kleinen Herrenhäuser allesamt herauszureißen und an die leeren Stellen den ein oder anderen Baum aus Drahtwolle zu plazieren.
    »Zigarre?« Er drehte sich zur Seite und sah Dagenham neben sich stehen.
    »Danke.« Er nahm eine Zigarre und ließ sich Feuer geben.
    »Sie sind natürlich entsetzt«, sagte Dagenham und betrachtete das Modell mit zusammengekniffenen Augen wie ein Architekturstudent. Sein Ton war so sachlich, dass dem Major nichts anderes einfiel, als zaghaft zu sagen: »Ich glaube, ich habe so etwas einfach nicht erwartet. Ja, es ist – überraschend.«
    »Ich habe den Brief gelesen, den Sie diesem Planungstypen geschrieben haben. Ich habe zu Ferguson gesagt, der Major wird entsetzt sein. Wenn wir es nicht schaffen, ihn von unserem Vorhaben zu überzeugen, können wir es gleich vergessen.« Der Hinweis auf seine Illoyalität verwirrte den Major so sehr, dass er errötete.
    »Fakt ist: Ich bin selbst entsetzt«, fuhr Dagenham fort. Er beugte sich hinunter und schob eines der Herrenhäuser mit der Fingerspitze ein Stück tiefer in eine Baumgruppe hinein. Dann kniff er wieder die Augen zusammen, richtete sich auf und blickte den Major mit einem ironischen Lächeln an. »Das Problem ist, dass ich den alten Besitz nicht einmal dann halten könnte, wenn ich bereit wäre, mich das ganze Jahr über hier zu vergraben – jedenfalls nicht auf lange Sicht.« Er trat ans Fenster, öffnete es einen Spaltbreit und blies Rauch in den Stallhof hinaus.
    »Das tut mir leid«, sagte der Major.
    »Anwesen wie das meine stecken landesweit in der Krise.« Sein Seufzer klang nach

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