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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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ja, aber in seinem Ehrgeiz zeigte sich ein Lebensfunke – er ließ sich einfach nicht unterkriegen. Der Major fand das besser als Gertrudes stilles Leiden.
    »Für euch Briten zählt nur die Familie«, sagte Ferguson. »Ich hoffe ja immer noch, dass ich irgendwann selbst eine abkriege.« Der ganze Tisch lachte, und die Frühstücksgesellschaft ging zu Kaffee und Zigarren über.
    Nach dem langen Frühstück, das unmerklich zu einem Mittagessen geworden war, brachen die meisten Banker auf. Als Roger sich von Gertrude verabschiedete, klopfte Swithers ihm auf die Schulter und gab ihm ziemlich schroff zu verstehen, dass er zu bleiben habe. Roger reagierte hocherfreut und ging sofort zum Major.
    »Ich soll wegen irgendeiner streng geheimen Sache mit Ferguson hierbleiben. Nur wir Banker aus der Führungsetage. Ich glaube, er will sein nächstes Projekt vorstellen.« Seine Brust war stolzgeschwellt; der Major dachte schon, sein Sohn würde vor Freude platzen. »Hast du jemanden, der dich nach Hause fährt?«, fragte Roger.
    »Danke, aber ich bin auch zu der Besprechung eingeladen«, antwortete der Major, sorgsam darauf bedacht, einen neutralen Ton anzuschlagen und sich nicht als Urheber von Rogers Einladung erkennen zu geben, um seinem Sohn nicht die Freude zu verderben.
    »Wirklich? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du viel davon verstehst«, sagte Roger. »Bleib in meiner Nähe, dann kann ich dir, wenn du willst, ein paar Fachbegriffe erklären.«
    »Genau das habe ich zu Lord Dagenham und seinem amerikanischen Kollegen gesagt, als sie mich fragten, ob sie dich hinzubitten sollen«, gab der Major zurück. Er schämte sich ein wenig, weil er seine guten Vorsätze so schnell gebrochen hatte, aber dann sagte er sich, dass die Bestürzung, die kurz aus dem Blick des Sohnes sprach, nur zu Rogers Bestem sei. »Gehen wir zu den anderen?«
     
    Der Tisch in der Mitte der alten, aus Stein erbauten Käserei war mit einem gewellten Nylontuch bedeckt, das etwas Großes, Flaches verhüllte. Die zurückgebliebenen Gäste fanden kaum genug Platz, um sich ringsum aufzustellen, und dem Major wurde schnell klar, dass sein Hintern innerhalb kürzester Zeit durch die Kälte der Steinmauern taub gefroren sein würde. In einer Ecke schepperte ein stinkendes Heizgerät unbestimmbaren Alters heftig vor sich hin, schaffte aber nicht mehr, als die allerschlimmste Kälte zu bannen.
    »Entschuldigen Sie die Räumlichkeiten, Gentlemen, aber hier können wir vertraulicher miteinander reden als im Haus«, sagte Lord Dagenham. »Mit Mr. Fergusons Zustimmung, oder besser: mit der Zustimmung von Lord Ferguson, Laird of Loch Brae« – an dieser Stelle zwinkerte Ferguson und wischte die Ehrenbezeugung mit einer Bescheidenheit weg, die seine Freude nicht verbarg –, »möchte ich Ihnen nunmehr das fortschrittlichste Bauprojekt im ländlichen England seit dem von Seiner Königlichen Hoheit komplett durchgeplanten Dorf Poundbury vorstellen.« Gemeinsam mit Ferguson ergriff er die Stoffhülle und zog sie vorsichtig vom Tisch. »Hier ist die ›Enklave des 21 . Jahrhunderts‹ in Edgecombe!«
    Die Anwesenden blickten auf ein Modell des Dorfs. Sofort erkannte der Major die Senken und Anhöhen der vertrauten Landschaft. An der einen Seite endete das Modell mit sanft ansteigenden Hügeln, auf der anderen lief es zu einem flachen, landwirtschaftlich geprägten Gelände aus. Er sah die Dorfwiese und den Pub, den man hellgrün angemalt hatte und dem an einer Seite furunkelartige Nebengebäude gewachsen waren. Er sah die Straße, die zu Rose Lodge führte, und entdeckte sogar seinen eigenen Garten, den man mit struppigen Miniaturhecken umsäumt und mit einem einsamen Modellbaum bestückt hatte. Im Dorf aber drängten sich unzählige Nachbildungen von Dagenhams Landsitz. Sie erzielten einen seltsamen Spiegeleffekt mit nahezu identischen Herrenhäusern, jedes mit protzig langer Auffahrt, einem quadratischen, geometrisch angelegten Garten, Stallgebäuden, die von Spielzeugautos umstellt waren, und einem kleinen, runden Teich samt silberfarben gestrichener Oberfläche und jeweils drei Stockenten. Ein solches Herrenhaus stand auf der Weide hinter Rose Lodge, ein weiteres an der Stelle, wo die Bushaltestelle hingehörte. Bushaltestelle und Hauptstraße waren völlig verschwunden, man hatte beides an den Rand des Modells verlegt, wo sie sich in der flachen Landschaft verloren. Der Major unterzog nun die Dorfwiese einer gründlicheren Betrachtung und suchte den Laden.

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