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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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im ganzen Raum so ruhig wurde, als hielten alle den Atem an. Nachdem die Lichter verlöscht waren, folgte einer kurzen Stille tosender Applaus.
    Als es wieder hell wurde, sah man als glänzendes Schlussbild Lord Dagenham und Gertrude auf einem Thron sitzen, Amina zu ihren Füßen. Auf den Stufen zwischen Bühne und Fußboden hatten sich die Tänzerinnen und Tänzer aufgestellt; sie trugen jetzt protzige Halsketten und glitzernde Kopftücher. Alec Shaw als Wesir hielt eine geöffnete Kiste mit den beiden Gewehren vor sich. Roger stand in Habachtstellung da und salutierte dem Fürstenhof. Die Leinwand dahinter zeigte dieselbe Szene auf einem sepiabraunen Foto. Ein starkes Gefühl, halb Stolz, halb Wehmut, ergriff den Major, als er darin das Foto erkannte, das seine Mutter einst in einer dunklen Ecke im oberen Treppenflur aufgehängt hatte, weil sie nicht prahlerisch wirken wollte.
    Nun setzte ein wahres Blitzlichtgewitter ein. Aus den Lautsprechern drang die klagende Stimme einer Sängerin, begleitet von dröhnender asiatischer Popmusik. Während das Publikum im Takt mitklatschte, liefen die Tänzerinnen mit Bewegungen, die die meisten hier höchstens aus Bollywood-Filmen kannten, durch die Gänge und holten sich Männer aus dem Publikum, die sich der Hopserei anschließen sollten. Der Major kniff die geblendeten Augen zusammen und nahm undeutlich wahr, dass ein kleingewachsener Mann auf die Bühne stieg und, irgendetwas auf Urdu schreiend, nach Daisy Greens Mikrophon griff.
    »Weg da, Sie schrecklicher kleiner Mann!«, schrie Daisy.
    »Das ist doch Rasools Vater«, rief Dr. Khan. »Was um Himmels willen macht er denn?«
    »Keine Ahnung«, sagte Mrs. Khan, »aber das könnte eine Katastrophe für Najwa werden.« Sie klang sehr glücklich.
    »Komm, wir gehen lieber tanzen«, sagte Mrs. Jakes und zog ihren Mann weg.
    Dr. Khan erhob sich. »Kann mal jemand den alten Trottel da rauswerfen? Der macht uns noch den ganzen Abend kaputt.«
    »Bitte misch dich nicht ein!«, bat Mrs. Khan. Dabei legte sie nicht etwa die Hand auf den Arm ihres Mannes, um ihn zu bremsen, sondern deutete nur darauf. Diese Art der verkürzten Kommunikation hatte der Major bei Eheleuten schon oft gesehen. Der Doktor setzte sich wieder.
    »Mein Mann ist immer so mitfühlend«, erklärte Mrs. Khan ihren Tischnachbarn.
    »Eine Art Berufskrankheit«, meinte Dr. Khan.
    Mr. Rasool Senior hatte sich das Mikrophon geschnappt und fuchtelte mit erhobenem Zeigefinger vor dem Gesicht der schockierten Daisy Green herum. Er brüllte jetzt auf Englisch los, und zwar so laut, dass es in den Ohren schmerzte, als sich seine aufgebrachte Stimme überschlug und er die Lautsprecher damit an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit brachte.
    »Das ist eine große Beleidigung für uns! Sie machen sich über das Leid eines Volkes lustig!«
    »Was soll das denn?«, rief Grace.
    »Vielleicht ist er erbost darüber, dass die Greuel der Teilung zu einer Showeinlage verniedlicht werden«, sagte Mrs. Ali. »Oder aber er mag einfach keine Bhangra-Musik.«
    »Warum sollte das irgendwen beleidigen?«, fragte Grace. »Es ist doch die herausragendste Leistung in der Familie des Majors!«
    »Es tut mir so leid«, sagte Mrs. Ali. Sie drückte dem Major die Hand, und er wurde schlagartig rot bei dem Gedanken, dass sie sich womöglich nicht bei ihm, sondern für ihn entschuldigte. »Ich muss Najwas Schwiegervater helfen – er ist ein kranker Mann.«
    »Ich wüsste nicht, warum du dafür zuständig sein solltest«, bemerkte Sadie Khan boshaft. »Überlass das mal besser dem Personal.«
    Doch Mrs. Ali war bereits aufgestanden, ohne dem Major noch einen Blick zugeworfen zu haben. Er zögerte, eilte ihr aber schließlich nach.
    »Lasst ihn los, sonst breche ich euch sämtliche Knochen!«, hörte der Major jemanden auf der Bühne sagen, während er sich einen Weg durch die Menge bahnte. Er sah gerade noch, wie Abdul Wahid an der Spitze einer kleinen Gruppe von Kellnern auf mehrere Tänzer und ein paar Musiker zuging, die den alten Mr. Rasool an den Armen gepackt hatten. »Zeigt einem alten Mann gefälligst Respekt!« Die Männer formierten sich zu einer Art Schutzmauer.
    »Was willst du hier?«, glaubte der Major Amina sagen zu hören, die gerade versuchte, Abdul Wahid am Arm zu packen, aber vielleicht, dachte er, hatte er ihr bei der anhaltend dröhnenden Musik auch nur von den Lippen gelesen. »Du solltest doch draußen auf mich warten.«
    »Du sprichst jetzt nicht mit mir!«, entgegnete

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