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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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zusätzlicher Holzteile eingepasst war und nur eine Scheibe besaß.
    Das Licht hinter den Bergen im Westen war fast verschwunden, und der Dreiviertelmond zog seine buckelige Bahn über den Himmel. Unterhalb der Hütte führte eine holprige Wiese zu einer schmalen Bucht in dem See, der sich in der Dunkelheit zu einem Meer zu weiten schien. Der Major suchte die weichen, schwärzeren Rundungen der dicht stehenden Bäume und Sträucher nach dem scharfen Umriss eines Schuppens ab und wollte schon zu einer streng systematischen Suche nach dem in Aussicht gestellten Steinigel aufrufen, als ihm der Gedanke kam, dass man auch durch das zerbrochene Fenster Einlass ins Haus finden könnte.
    Es war kalt geworden. Mrs. Ali fröstelte in ihrem dünnen Wollmantel, und die Spitze ihres Kopftuchs flatterte im schneidigen Wind, der vom See herüberwehte. Sie hatte die Augen geschlossen und atmete in tiefen Zügen.
    »Könnte Frost geben heute Nacht«, meinte der Major. Er befürchtete, sie würde über den Zustand des Hauses entsetzt sein, und trat vor sie hin. »Sollten wir vielleicht besser in das Dorf zurückkehren, durch das wir gefahren sind, und uns ein Bed and Breakfast suchen?« Sie schlug die Augen auf und lächelte ihn ängstlich an.
    »Nein, nein, es ist so wunderschön hier. Und um ehrlich zu sein – nicht einmal in meinem fortgeschrittenen Alter und inmitten eines so wahnwitzigen Abenteuers brächte ich es über mich, mit Ihnen in ein Hotel zu gehen.«
    »Wenn Sie es so ausdrücken …« Er errötete und spürte seine Wangen in der Dunkelheit warm werden. »Allerdings weiß ich nicht, ob Sie das immer noch so sehen, wenn wir da drin auf Eichhörnchen stoßen«, sagte er mit Blick auf die zerbrochene Fensterscheibe. Er umklammerte die bleistiftdünne Taschenlampe aus dem Handschuhfach noch fester und fragte sich, ob die Batterien neu oder vielleicht mit ausgelaufener Säure überzogen waren. »Dann wagen wir jetzt also die Expedition ins Innere des Hauses.«
    Es gelang ihm tatsächlich, das Schloss von der Innenseite des Fensters aus zu entriegeln; er stieß die Tür auf und trat in die tiefere Kühle der Hütte. Die Taschenlampe spendete nur einen dünnen, bläulichen Lichtstrahl. Um sich im dürftigen Licht nicht unvermutet an Kopf oder Knie zu stoßen, ging der Major mit ausgestreckten Armen voran. Der Lampenstrahl tanzte über einen Tisch mit Stühlen, ein Korbsofa mit zerbrochener Rückenlehne, ein Spülbecken aus Metall und Küchenschränke mit Baumwollvorhängen. In einer Ecke tauchte ein großer, verrußter Kamin auf, der nach feuchter Kohle roch. An einer Seite war er durch einen angebauten verzinkten Behälter verschandelt, der in eine Öffnung im Rauchabzug einbetoniert worden war, um mit der Hitze des Feuers Wasser erwärmen zu können. Mehrere Rohre mit Sperrhähnen führten zu einer kleinen Badnische und damit zu der hochwillkommenen Möglichkeit, wenigstens eine Katzenwäsche zu absolvieren. Hinter einem Rundbogen erahnte man das Schlafzimmer, und durch eine weitere merkwürdige Kombination aus einer Terrassenschiebetür und einem Fenstertürflügel schien silbrig der See. Über den Boden erstreckte sich ein breites Dreieck aus Mondlicht und beschien große Körbe mit Angelgerät, so nachlässig hineingeworfen, als würde der Besitzer gleich wieder zum See gehen. An einer nahe liegenden Stelle – in einer Dose auf dem Kaminsims – fand der Major Streichhölzer, und in der niedrigen Waschküche hinter dem Spülbecken den versprochenen Waschzuber aus Zink mit drei Petroleumlampen.
    »Hoffentlich erwarten Sie nicht, dass das Ganze hier besser aussieht, wenn es beleuchtet ist«, sagte er, während er ein Streichholz anzündete und nach dem Glasschirm der ersten Lampe griff.
    Sie lachte. »Den Geruch von Petroleum habe ich das letzte Mal als kleines Kind erlebt. Mein Vater erzählte uns immer, Petroleum sei im neunten Jahrhundert in Bagdad von einem Alchemisten entdeckt worden, als er versuchte, Gold zu destillieren.«
    »Ich dachte, ein Schotte hätte es erfunden«, sagte der Major, verbrannte sich in diesem Augenblick an der zweiten Lampe den Daumen und ließ das Streichholz fallen. »Andererseits sind ja im Orient die erstaunlichsten Dinge entstanden, während wir zur gleichen Zeit erst mit Flechtwerk und Lehm umzugehen lernten und unsere entlaufenen Schafe einfingen.« Er entzündete noch ein Streichholz. »Leider hat das alles schlussendlich nichts gebracht, es sei denn, man war schnell genug, sich

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