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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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Seifenwasser über das Holz.« Mrs. Ali blieb stehen und richtete den Blick aufs Meer. Die Wellen schwemmten schmutzigen Schaum auf die bucklige braune Sandfläche, die erkennen ließ, dass gerade Ebbe herrschte.
    Der Major atmete den durchdringenden Geruch des gestrandeten Tangs ein und überlegte, ob er Mrs. Ali den Rücken tätscheln sollte.
    »Das tut mir sehr leid«, sagte er.
    »Nicht zu fassen, dass ich Ihnen das erzählte habe«, erwiderte Mrs. Ali. Sie wandte sich wieder ihm zu und rieb sich einen Augenwinkel. »Entschuldigen Sie bitte. Ich werde allmählich wirklich eine närrische alte Frau.«
    »Alt kann man sie wohl kaum nennen, meine liebe Mrs. Ali. Sie befinden sich in der Blüte Ihrer reifen Frauenjahre, würde ich sagen.« Es klang ein bisschen überzogen, aber er hoffte, sie damit zum Erröten zu bringen. Stattdessen lachte sie laut auf.
    »Ich habe noch nie gehört, dass jemand die Falten und Fettablagerungen des fortgeschrittenen mittleren Lebensalters mit einer solchen Schicht Schmeichelei verspachtelt, Major!«, sagte sie. »Ich bin achtundfünfzig Jahre alt und habe meine Blüte überschritten. Bleibt nur zu hoffen, dass ich jetzt zu einem dieser ewig haltbaren Strohblumensträuße vertrockne.«
    »Ich bin zehn Jahre älter als Sie«, erwiderte der Major. »Da kann man mich wohl nur noch als Fossil bezeichnen.«
    Sie lachte noch einmal auf, und der Major hatte das Gefühl, dass es nichts Wichtigeres und Erfüllenderes gab, als Mrs. Ali zum Lachen zu bringen. Seine Sorgen schwanden dahin, während sie die Eisstände und Kassenhäuschen des Piers hinter sich ließen. Sie folgten mehreren neu angelegten Kurven auf der Promenade. Der Major verkniff sich seine übliche Tirade gegen die Unbedarftheit der jungen Architekten, die sich von der geraden Linie unterdrückt fühlten. Heute war ihm nach Walzertanzen zumute.
    Sie erreichten die große Gartenanlage, die als einfaches Beet voller gelber Chrysanthemen begann und sich, von zwei immer breiter werdenden Wegen gesäumt, zu einem langgezogenen Dreieck mit verschiedenen Arealen und Ebenen ausdehnte. In einem abgesenkten Rechteck inmitten eines Rasenstücks stand ein Musikpavillon. Leere Liegestühle ließen ihre Segeltuchbespannung im Wind flattern. Die Stadtverwaltung hatte gerade die dritte oder vierte Garnitur todgeweihter Palmen in Pflanzbehälter aus Beton setzen lassen. Unter den Stadträten herrschte der unerschütterliche Glaube, die Stadt mit Hilfe von Palmen in ein mediterran anmutendes Paradies verwandeln und eine wesentlich bessere Gästeklientel anlocken zu können. Die Palmen gingen innerhalb kürzester Zeit ein. Die Tagestouristen mit den billigen T-Shirts wurden weiterhin busweise angekarrt und maßen ihre heiseren Stimmen mit denen der Möwen. Am Ende der Gartenanlage kickte auf einem kleinen, runden, zum Meer hin offenen Rasenstück ein dünner, dunkelhäutiger Junge von vier, fünf Jahren einen kleinen roten Ball vor sich her. Er spielte so, als wäre es eine einzige Mühsal. Nach einem heftigen Tritt prallte der Ball gegen eine niedrig angebrachte Bronzetafel, die in erhabenen glänzenden Buchstaben »Ballspielen verboten« verkündete, und kullerte auf den Major zu. Der wollte ihn, fröhlich gestimmt, wie er war, zurückschlenzen, traf ihn aber nur mit dem Außenrist. Der Ball prallte seitlich ab, stieß gegen einen Zierstein und rollte geschwind unter eine dichte Hortensienhecke.
    »Hey, Fußball ist hier nicht erlaubt!« Das Gebrüll kam aus einem kleinen grünen Kiosk mit Pagodendach und Fensterläden aus Kupfer, in dem Tee und diverse Kuchen verkauft wurden.
    »Entschuldigung, Entschuldigung!«, sagte der Major und fuchtelte mit den Händen durch die Luft, um sowohl die graugesichtige dicke Dame hinter dem Kioskfenster als auch den kleinen Jungen zu beschwichtigen, der die Hortensien anstarrte, als wären sie undurchdringlich wie ein schwarzes Loch. Der Major lief zur Hecke hinüber und bückte sich auf der Suche nach einem roten Farbfleck.
    Plötzlich ertönte eine schneidende Stimme. »Ein schöner Park ist das, in dem ein Sechsjähriger nicht Fußball spielen darf!«
    Der Major hob den Blick und sah eine junge Frau, die zwar offensichtlich indische Wurzeln hatte, aber die globale Uniform der desillusionierten Jugend trug. Sie steckte in einem zerknitterten Parka von der Farbe einer Ölpfütze und in langen, gestreiften Leggings, die sie in Bikerstiefel gestopft hatte. Das kurzgeschnittene Haar stand in steifen Strähnchen

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