Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
liebst.« Sie wischte sich mit dem Ärmelaufschlag ihrer Bluse über das Gesicht, und der dunkle Streifen, der blieb, ließ sie aussehen wie ein kleines Kind. »Ich habe ihnen nie geglaubt, dass du freiwillig gegangen bist, aber jetzt ist mir klar, dass du das Produkt deiner Familie bist, Abdul Wahid.«
»Du solltest jetzt gehen«, sagte der Neffe und wandte den Kopf ab, aber seine Stimme klang brüchig.
»Nein. Du bleibst, und wir gehen nach oben zu George und essen etwas«, erklärte Mrs. Ali. »Wir lassen diese Sache nicht auf sich beruhen.« Sie wirkte nervös. Sie biss sich auf die Unterlippe und warf dem Major ein schmerzlich gekünsteltes Lächeln zu. »Danke für Ihr Angebot, Major, aber es ist nicht nötig. Wir kriegen das schon hin.«
»Wenn Sie meinen.« Der Major verspürte eine ungebührliche Faszination, wie ein Autofahrer, der das Tempo drosselt, um eine Unfallstelle zu begaffen. Mrs. Ali ging zur Tür, und es blieb ihm nichts übrig, als ihr zu folgen. Flüsternd fragte er sie noch: »War es falsch von mir, sie hierherzubringen?«
»Nein, wir freuen uns über die beiden«, antwortete sie laut. »Es hat sich nämlich herausgestellt, dass sie offenbar mit uns verwandt sind.« Dem Major fiel es wie Schuppen von den Augen; er sah förmlich vor sich, wie sehr der kleine George, wenn er böse dreinblickte, Abdul Wahid ähnelte. Er setzte zum Sprechen an, doch Mrs. Alis Gesicht erschien ihm wie eine Maske erschöpfter Höflichkeit, und er wollte die brüchige Fassade nicht durch unpassende Worte zum Einsturz bringen.
»Zusätzliche Verwandte können durchaus von Vorteil sein, denke ich – ein Bridgespieler mehr bei Familientreffen oder ein weiterer Nierenspender«, faselte er vor sich hin. »Meinen herzlichen Glückwunsch.« Einen Augenblick lang belebte ein kaum merkliches Lächeln ihr müdes Gesicht. Er hätte gern ihre Hand genommen und sie gebeten, ihm ihr Herz auszuschütten, aber der Neffe starrte sie immer noch finster an.
»Und vielen Dank für Ihr ritterliches Täuschungsmanöver in Hinblick auf den Ball«, fügte Mrs. Ali hinzu. »Die Damen haben es bestimmt gut gemeint, aber ich werde ihre Anfrage mit Freuden ablehnen.«
»Sie werden mich doch hoffentlich nicht Lügen strafen, Mrs. Ali«, erwiderte der Major so leise wie möglich. »Es wäre mir eine Ehre und Freude, Sie zum Ball zu begleiten.«
»Meine Tante denkt nicht mal im Traum daran, zu diesem Ball zu gehen«, erklärte Abdul Wahid lautstark. Sein Kinn bebte. »Es gehört sich nicht.«
»Du hast mich nicht darüber zu belehren, was sich gehört und was nicht, Abdul Wahid«, sagte Mrs. Ali in scharfem Ton. »Ich bestimme mein Leben selbst, ist das klar?« Sie wandte sich wieder dem Major zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Ich nehme Ihre freundliche Einladung an, Major.«
»Ich fühle mich sehr geehrt.«
»Und ich hoffe, dass wir uns bald wieder über Literatur unterhalten können«, sagte sie mit klarer Stimme. »Ich habe unser sonntägliches Treffen sehr vermisst.« Sie sagte es, ohne zu lächeln, und den Major durchfuhr der Stachel der Enttäuschung, weil sie ihn benutzte, um ihren Neffen zu kränken. Als er zum Abschied den Hut zog, spürte er, dass die Anspannung zurückgekehrt war. Aber »Anspannung« traf es nicht; im Fortgehen dachte er, dass es eher eine schwelende Verzagtheit war. An der Ecke blieb er stehen und warf einen Blick zurück. Die drei Menschen in dem Laden hatten jetzt, da war er sicher, noch viele Stunden schmerzlicher Gespräche vor sich. Doch das Schaufenster zeigte ihm nur das verzerrte, glitzernde Spiegelbild der Straße und des Himmels.
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Zwölftes Kapitel
D ie Cricketsaison war vorbei, deshalb wunderte sich der Major über das gedämpfte Geräusch von Wickets, die in den Rasen geschlagen wurden. Das Gehämmer wurde bis über die ansteigende Weidefläche am Ende des Gartens getragen und schreckte in dem Wäldchen oben auf dem Hügel ein paar Tauben auf. Ausgerüstet mit seiner Teetasse und der Morgenzeitung stapfte der Major zum Zaun hinüber, um der Sache nachzugehen.
Es gab nicht viel zu sehen, außer einem großen Mann mit Gummistiefeln und einer gelben Regenjacke, der ein Klemmbrett in der Hand hielt und gerade durch das Fernrohr eines Theodoliten blickte, während zwei andere, seinen Angaben folgend, bestimmte Strecken abschritten und dann Holzstangen mit orangeroten Spitzen in das struppige Gras rammten.
Plötzlich ertönte eine geisterhafte, laut flüsternde Stimme. »Verstecken
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