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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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Sie sich, Major!« Der Major sah sich um.
    »Ich habe den Kopf eingezogen«, erklärte die Stimme, die er jetzt als die von Alice, seiner Nachbarin, identifizierte. Er ging zur Hecke und spähte hinüber.
    »Nicht zu mir rüberschauen!«, zischte sie gereizt. »Die haben Sie wahrscheinlich schon bemerkt. Schauen Sie einfach nur so in der Gegend herum, als wären Sie allein.«
    »Guten Morgen, Alice«, sagte der Major, trank einen Schluck Tee und schaute »in der Gegend herum«, so gut er konnte. »Gibt es einen Grund für unsere Heimlichtuerei?«
    »Falls wir Protestaktionen organisieren, dürfen sie unsere Gesichter jetzt nicht sehen«, erklärte sie ihm wie einem kleinen Kind. Sie saß auf einem klappbaren Campinghocker in der winzigen Lücke zwischen ihrem Komposthaufen und der Hecke, die ihren Garten von der Weide trennte. Der leichte Geruch nach verrottendem Gemüse schien sie nicht zu stören. Der Major riskierte einen kurzen Blick und erspähte ein Fernrohr auf einem im Rasen steckenden Stativ. Darüber hinaus bemerkte er, dass sich Alices Tarnversuch nicht auf ihre Kleidung erstreckte, die unter anderem aus einem violetten Pulli und einer orangeroten Hose aus schlabberigem Hanfgewebe bestand.
    »Protestaktionen?«, fragte der Major. »Welche …«
    »Die nehmen Vermessungen für Baumaßnahmen vor, Major!«, sagte Alice. »Die wollen die ganze Weide zubetonieren.«
    »Das kann doch gar nicht sein. Der Grund gehört Lord Dagenham.«
    »Und Lord Dagenham möchte eine Stange Geld verdienen, indem er den Grund verkauft und bebauen lässt.«
    »Vielleicht werden nur neue Abflussrohre verlegt.« Der Major stellte immer wieder fest, dass er im Gespräch mit Alice ganz bewusst vorsichtiger und rationaler wurde, als könnte ihr wirrer Überschwang in sein Bewusstsein sickern. Er mochte Alice trotz der selbstgemalten Plakate mit den diversen Anliegen, die sie an ihre Fenster klebte, und trotz der übertriebenen Erscheinung sowohl ihres Gartens als auch ihrer Person. Beide litten an einem Übermaß an miteinander unverträglichen Ideen sowie an einem ausufernden Engagement für die Bio-Bewegung.
    »Abflussrohre – von wegen!«, sagte Alice. »Unsere Spitzel vermuten eine Verbindung nach Amerika.« Dem Major zog es den Magen zusammen. Schlagartig war er sich elendiglich sicher, dass sie recht hatte. In ganz England ging ein langsames Morden vor sich: Große Wiesenflächen wurden in kleine, rechteckige, schafpferchartige Parzellen aufgeteilt und dicht mit immer gleich aussehenden Häusern aus hellroten Ziegeln bebaut. Er blinzelte mehrmals, aber die Männer verschwanden nicht. Plötzlich hatte er das Verlangen, sich wieder ins Bett zu legen und die Decke über den Kopf zu ziehen.
    »Ihr Gesicht haben die sowieso schon gesehen, da können Sie auch gleich hingehen und sie ein bisschen ausfragen«, sagte Alice. »Mal sehen, ob sie einknicken, wenn man sie direkt konfrontiert.«
    Der Major durchquerte seinen Garten, trat auf die Weide und bat darum, den Leiter der Vermessungsarbeiten zu sprechen. Man führte ihn zu dem großen Mann, der eine Brille und ein schönes Hemd mit Krawatte unter der gelben Jacke trug. Freundlich gab er dem Major die Hand, weigerte sich jedoch, seine Anwesenheit zu erklären.
    »Leider alles streng vertraulich. Der Bauherr besteht auf höchste Diskretion.«
    »Ich verstehe«, sagte der Major. »Die meisten Leute hier haben eine ziemlich alberne Abneigung gegen jede Art von Veränderung und können zu regelrechten Plagegeistern werden.«
    »Ganz genau.«
    »Wenn ich am elften mit Dagenham auf die Jagd gehe, werde ich ihn bitten, mir die Pläne zu zeigen. Ich interessiere mich sehr für Architektur – auf einem dilettantischem Niveau natürlich.«
    »Ich kann nicht versprechen, dass bis dahin alle Pläne fertig sind. Ich bin nur der Bauingenieur. Wir bereiten hier alles vor, aber dann kommen noch die Verkehrsstudien für das Gewerbegebiet dazu. Das dauert.«
    »Ja, natürlich, für das Gewerbegebiet wird das Monate dauern, kann ich mir vorstellen.« Der Major fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Hinter sich spürte er förmlich Alices Auge am Fernrohr. »Was soll ich den Leuten sagen, wenn sie fragen?«
    »Wenn sie hartnäckig sind, behaupte ich immer, wir würden Abflussrohre verlegen. Für Abflussrohre ist jeder.«
    »Vielen Dank«, sagte der Major und wandte sich ab. »Ich werde Lord Dagenham sagen, dass Sie alles im Griff haben.«
    »Und sagen Sie denen, sie brauchen gar nicht erst anzufangen,

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