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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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ließ keinerlei Verachtung erkennen. Er wirkte weniger mürrisch als sonst, fand der Major – vielleicht eher geblendet vom Anblick der blonden, so überaus gepflegten Sandy. Er nippte abwechselnd an seinem Zitronenwasser und am Tee und bedachte die wenigen Fragen, die Sandy ihm stellte, mit äußerst höflichen Antworten.
    Roger ignorierte den Gast demonstrativ und sprach ohne Unterlass über das neue Cottage. Innerhalb einer Woche hatten Sandy und er es offenbar geschafft, einen Schreiner und mehrere Maler zu engagieren.
    »Und zwar nicht irgendwelche dahergelaufenen Maler«, erklärte Roger, »sondern welche, die gerade total gefragt sind – die machen Galerien und Restaurants. Sandy kennt sie über eine Arbeitskollegin.« Er schwieg und nahm liebevoll ihre Hand. »Sie ist die Königin der vorteilhaften Bekanntschaften!«
    »Viele Bekanntschaften, aber nur sehr wenige enge Freunde«, sagte Sandy. Der Major hörte einen traurigen Unterton heraus, der ihm aufrichtig erschien. »Dabei tut es so gut, einfach mal mit Verwandten und Freunden zusammenzusitzen, so wie jetzt.«
    »Wo lebt Ihre Familie?«, erkundigte sich Abdul Wahid. Die unvermittelt gestellte Frage riss den Major aus seiner zunehmenden Schläfrigkeit.
    »Wir sind weit verstreut. Mein Vater lebt in Florida, meine Mutter ist nach Rhode Island gezogen. Ich habe einen Bruder in Texas, und meine Schwester wohnt seit letztem Jahr mit ihrem Mann in Chicago.«
    »Und welcher Religion gehören Sie an, wenn ich fragen darf?«
    »Du lieber Himmel – Sandys Leute sind unerschütterliche Anglikaner«, sagte Roger unwirsch. »Erzähl meinem Vater mal, wie deine Mutter mit dem Erzbischof von Canterbury fotografiert wurde!«
    »Na ja, meine Mutter hat tatsächlich mal vor einer Herrentoilette gewartet, um mit dem Erzbischof geknipst zu werden«, sagte Sandy und verdrehte die Augen. »Wahrscheinlich war es als Wiedergutmachung für den Rest der Familie gedacht. Mittlerweile haben wir in unseren Reihen, glaube ich, einen Buddhisten und zwei Agnostiker. Und der Rest besteht aus ganz normalen Atheisten.«
    »Nicht praktizierenden Anglikanern«, warf Roger ein.
    »Der Begriff ›Atheist‹ vermittelt durchaus diesen Eindruck, Roger«, sagte der Major.
    »Roger redet nicht gern über Religion, stimmt’s, Roger?«, sagte Sandy. Sie begann, die Themen an den Fingern abzuzählen. »Keine Religion, keine Politik, Sex nur in Anspielungen – kein Wunder, dass ihr Briten so besessen vom Wetter seid, Liebling.« Wieder zuckte der Major zusammen, als er das Kosewort hörte. Wahrscheinlich würde er sich daran gewöhnen müssen, dachte er.
    »Ich finde es wichtig, über die unterschiedlichen Religionen zu sprechen«, sagte Abdul Wahid. »Aber wir hier in Großbritannien bereden alles hinter verschlossenen Türen und kehren alles unter den Teppich. Ich kenne niemanden, der sich mal hinsetzt und offen über dieses Thema diskutiert.«
    »O mein Gott – ein ökumenischer Moslem«, murmelte Roger. »Sind Sie sicher, dass Sie von der richtigen Religion sprechen?«
    »Roger!«, rief Sandy.
    »Ist schon gut«, sagte Abdul Wahid. »Mir ist diese Direktheit lieber. Gegen ausweichende Äußerungen und gegen Höflichkeit, hinter der sich Hohn versteckt, kann ich meine Religion nicht verteidigen.«
    Den Major drängte es, das Thema zu wechseln. »Habt ihr zwei schon einen Hochzeitstermin festgesetzt, oder soll das auch eine Überraschung werden?«, fragte er.
    Roger senkte den Blick und zerkrümelte ein Stück Brot neben seinem Teller. Sandy genehmigte sich einen großen Schluck Wein, was der Major mit Behagen als Riss in ihrer perfekten Fassade wertete. Einige Sekunden lang herrschte Schweigen.
    »Nein, um Gottes willen«, sagte Roger schließlich. »Wir haben nicht die Absicht, in nächster Zeit zu heiraten. Andernfalls hätte ich dich darüber informiert.«
    »Nicht die Absicht?«, fragte der Major. »Wie soll ich das verstehen?«
    »Na ja, kaum ist man verheiratet, kriegt man das Etikett ›Familienvater‹ verpasst, und eh man sich’s versieht, riecht die ganze Karriere nach anrollenden Windeln«, antwortete Roger, den Korken in der Hand hin- und herdrehend. Dann zerquetschte er damit das Häufchen aus Brotkrümeln zu einem winzigen frikadellenförmigen Gebilde. »Ich habe schon erlebt, dass Leute deswegen dauerhaft an derselben Position im Unternehmen hängen blieben.«
    Sandy betrachtete eingehend ihr Weinglas und schwieg.
    »Die Ehe ist ein wundervoller Teil des Lebens«, sagte

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