Mrs Murphy 01: Schade, dass du nicht tot bist
thronte und für die Besucher, die gekommen waren, wie es der Anstand gebot, den Gastgeber spielte. Auf einem Satinholztisch neben dem Sessel stand eine runde, kirschrote Schale, die alte Murmeln enthielt. Hin und wieder griff Josiah in die Schale und ließ die Murmeln durch seine Finger gleiten wie Gebetskugeln. Eine andere Schale enthielt alte Drucktypen, wieder eine andere Türknäufe mit ziselierten Einlagen.
Susan eilte zu Harry hinüber, um ihr im Vertrauen die unerfreuliche Geschichte von Danny zu erzählen, der die Kreditkarte seines Vaters benutzt hatte, um sich am Nachtschalter der Bank Geld zu beschaffen. Ned hatte ihm für den Rest des Sommers Hausarrest aufgebrummt. Harry drückte gerade ihr Bedauern aus, als Mrs Hogendobber mit ihrem berühmten Kartoffelsalat eintraf. Mim, elegant in Leinenhose und einem Zweihundert-Dollar-T-Shirt, schwebte herbei, um Mrs Hogendobber die schwere Schüssel abzunehmen. Hayden ging gerade hinaus, als Fair hereinkam. Little Marilyn servierte aus einem Gefäß aus massivem Sterlingsilber Getränke. Little Marilyn hielt sich bei derartigen Zusammenkünften auffallend häufig in der Nähe des Alkohols auf. Jedes Mal wenn Harry zu ihr hinsah, entdeckte Little Marilyn gerade etwas anderes, das ihre Aufmerksamkeit fesselte. Sie schenkte Harry nicht mal eine Grimasse, geschweige denn ein Lächeln.
»Ich muss Josiah was Nettes sagen.« Harry legte ihren Arm um Susans Taille. »Die Bank wird Danny nicht verraten. Wenn ihr Stillschweigen bewahrt, du und Ned, wird es außer mir niemand erfahren. Ich finde, ein Junge in seinem Alter darf sich ab und zu einen Fehltritt erlauben.«
»Einen Fünfhundert-Dollar-Fehltritt! Und noch was. Sein Vater sagt, er muss bis Halloween jeden Penny zurückzahlen.«
»Halloween?«
»Zuerst sagte Ned, bis zum Ferienende, aber Danny hat geweint und gesagt, er könne von Mitte Juli bis Anfang September mit Rasenmähen nicht genug verdienen.«
»Das muss eine moderne Variante des Geldscheinklauens aus Mutters Portemonnaie sein. Hast du deine Mutter je bestohlen?«
»Gott, nein.« Susan legte unwillkürlich eine Hand auf ihre Brust. »Sie hätte mich windelweich geprügelt. Das würde sie heute noch tun.«
Susans Mutter lebte gesund und munter in Montecito, Kalifornien.
»Meine Eltern hätten mich nicht nur gründlich vermöbelt«, sagte Harry. »Sie hätten es allen Bekannten erzählt, um meine Demütigung zu unterstreichen, und das hätte es zehnmal schlimmer gemacht. Hab ich dir je erzählt, dass meine Mutter mich morgens nie aus dem Bett gekriegt hat?«
»Du meinst, als die Schule um halb sieben anfing? Ich wollte auch nie aufstehen. Erinnerst du dich? Wir waren so viele, dass die Schule aus allen Nähten platzte, und daraufhin haben sie in Schichten unterrichtet. Wenn man seine Freunde in der Mittagspause verpasste, sah man sie den ganzen Tag nicht.«
»Die arme Mom musste um fünf aufstehen und versuchen, mich hochzukriegen, weil ich in der Sieben-Uhr-Schicht war. Ich hab mich einfach nicht gerührt. Schließlich hat sie mich mit Wasser begossen. Diese Frau scheute vor keinem Mittel zurück, wenn seine Wirksamkeit erst einmal erwiesen war.« Harry lächelte. »Ich vermisse sie. Komisch, heute macht es mir nichts aus, früh aufzustehen. Ich tu’s sogar gern. Zu schade, dass Mutter nicht mehr erleben durfte, wie aus mir eine Frühaufsteherin geworden ist.« Sie sammelte sich. »Ich muss Josiah was Aufmunterndes sagen.«
Harry schlenderte zu Josiah hinüber, dem Mrs Hogendobber inzwischen buchstäblich Samariterdienste leistete, indem sie ihm von Lazarus erzählte. Josiah erwiderte, auch er schöpfe Trost aus dem Gedanken, dass Lazarus von den Toten auferstanden sei, er, Josiah, sei jedoch ein Geschlagener, kein Toter. Sie müsse sich eine bessere Geschichte einfallen lassen. Dann reichte er Harry die Hand.
»Liebe Harry, du wirst mir vergeben, dass ich nicht aufstehe.«
»Josiah, dies ist das erste Mal, dass ich sehe, wie jemandes Augen zu seinem Hemd passen. Kastanienbraun.«
»Ich ziehe die Bezeichnung Burgunder vor.« Er lehnte sich zurück.
»Also das sieht Ihnen ähnlich, etwas so Schlimmes auf die leichte Schulter zu nehmen.« Mrs Hogendobber bemühte sich redlich vorzugeben, dass sie Josiah gewogen sei und ihm alles Gute wünschte. Nicht dass sie ihn nicht leiden konnte, aber sie hatte es im Gefühl, dass er kein richtiger Mann war, und sie wusste, dass er kein praktizierender Christ war.
»So schlimm ist es gar nicht. Der Mann
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