Mrs Murphy 01: Schade, dass du nicht tot bist
der Sache. »Ich kriege wenigstens den Mann, den ich mir wünsche. Du verlierst deinen.«
Harry blinzelte. Das war eine neue Little Marilyn. Die alte mochte sie nicht. Die neue war eine echte Überraschung.
»Harry?« Josiahs Stimme schwebte über das Geplapper hinweg. »Harry!« Er rief etwas lauter. Sie drehte sich um. »Das muss eine glänzende Unterhaltung sein. Du hast mich nicht gehört, dabei rufe ich schon die ganze Zeit.«
Little Marilyn ging trotzig als Erste zu Josiah. Harry bildete die Nachhut.
»Ihr zwei Mädels habt geplappert wie die Blauhäher«, sagte Mim in gereiztem Ton. Da stieß Jim, ihr Mann, mit einem dröhnenden Gruß die Haustür auf, was Mim noch mehr reizte.
Harry beobachtete Little Marilyns untadelige Mutter und dachte, in ihrer Gesellschaft zu sein sei dasselbe, wie tief in eine Zitrone hineinzubeißen.
Fair rettete die Situation, denn Harry war drauf und dran, allen klipp und klar zu sagen, was sie von ihnen hielt. Er spürte, wie durcheinander und mürrisch sie war. Er wusste, dass er seine Frau nicht mehr liebte, aber wenn man fast ein Jahrzehnt mit jemandem zusammen gewesen war, seine Eigenarten kannte und sich für ihn verantwortlich gefühlt hatte, konnte man mit den alten Gewohnheiten nur schwer brechen. Und so rettete er Harry in diesem Moment vor sich selbst.
»Was hattest du eigentlich in Rick Shaws Dienstwagen zu suchen?«, fragte er.
Wie ein sanfter Bodennebel legte sich allmählich ein Schweigen über den Raum.
»Wir sind zum Greenwood-Tunnel gefahren«, sagte Harry leichthin.
»In dieser Hitze?«, fragte Josiah ungläubig.
»Vielleicht war das Ricks Methode, sie für das Verhör mürbe zu machen«, sagte Susan.
»Ich glaube, die Tunnels haben etwas mit den Morden zu tun.« Harry wusste, dass sie den Mund hätte halten sollen.
»Lächerlich«, blaffte Mim. »Sie sind schon über vierzig Jahre geschlossen.«
Jim konterte: »Im Moment ist keine Idee lächerlich.«
»Was ist mit den Geschichten von einem Schatz?«, meinte Mrs Hogendobber. »Schließlich muss etwas Wahres dran sein, sonst wären sie nicht über hundert Jahre kursiert. Vielleicht handelt es sich um einen ganz außergewöhnlichen Schatz.«
»Wie mein göttlicher Sekretär da drüben.« Josiah deutete mit der Hand darauf wie ein lässiger Versteigerer. »Was ich dir sagen wollte, Mim, du brauchst unbedingt diesen Sekretär. Das Satinholz schimmert im Licht der Jahrhunderte.«
»Nun mal langsam, Josiah.« Mim lächelte. »Wir verhängen ein Verkaufsmoratorium, bis deine Augen und Nase geheilt sind.«
»Wenn es einen Schatz gäbe, hätte die C & O ihn gefunden.« Fair machte sich noch einen Drink. »Die Leute lieben Geschichten von aussichtslosen Fällen, Gespenstern und vergrabenen Schätzen.«
»Claudius Crozet war ein Genie. Wenn er einen Schatz hätte verstecken wollen, hätte er es gekonnt«, warf Mrs Hogendobber ein. »Crozet war es, der den Staat Virginia warnte, dass Joseph Carrington Cabells Kanalgesellschaft nicht funktionieren würde. Cabell war in den Jahrzehnten vor dem Sezessionskrieg ein einflussreicher Mann, und er hat Crozet sein ganzes Leben lang schikaniert. Cabell allein hat die Entwicklung der Eisenbahn behindert, von der Crozet glaubte, dass sie die Zukunft verkündete. Und Crozet hatte recht. Die Kanalgesellschaft ist eingegangen; sie hat die Investoren und den Staat Millionen und Abermillionen Dollar gekostet.«
»Mrs Hogendobber, ich bin schwer beeindruckt. Ich hatte keine Ahnung, dass Sie so gut Bescheid wissen über unseren … Schutzheiligen.« Josiah richtete sich in seinem Sessel auf und sank mit einem unterdrückten Stöhnen zurück.
»Hier.« Fair reichte ihm einen steifen Drink.
»Ich -« Mrs Hogendobber, die es nicht gewöhnt war zu lügen, verlor den Faden.
Harry half ihr aus der Klemme. »Ich sagte Ihnen ja, Sie sollten lieber auf den Vorsitz des Komitees ›Wir feiern Crozet‹ verzichten.«
»Ich?«, murmelte Mrs Hogendobber.
»Mrs H., Sie haben zu viel um die Ohren. Die jüngsten Ereignisse und das Komitee … ich komme morgen rüber und helfe Ihnen, ja?«
Mrs Hogendobber begriff die verschlüsselte Botschaft. Sie nickte zustimmend.
»Also, Harry, was habt ihr beim Greenwood-Tunnel gefunden? Einen Haufen Gulden und Louisdore und goldene russische Samoware?« Josiah lächelte.
»Einen Haufen Kermesbeeren, Geißblatt und Kudzu.«
»Ein feiner Schatz.« Little Marilyn betonte das Wort »Schatz« bewusst affektiert.
»Tja« – Josiah atmete Whiskeydunst
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