Mrs Murphy 01: Schade, dass du nicht tot bist
bloß nicht mit ihm leben.« Harry wurde rot. »Er war einfach nicht … da.«
»Wie meinst du das?«
»Er war gefühlsmäßig nicht da.« Sie seufzte. »Dass eine Ehe kaputtgeht, ist eine Sache, aber es ist genauso schlimm, dass dabei Freundschaften kaputtgehen. Alle Leute ergreifen Partei.«
»Was hattest du erwartet?« Kein Mitgefühl von Boom Booms Seite.
Das brachte das Fass zum Überlaufen. »Von dir jedenfalls mehr!« Harry biss die Zähne zusammen. »Zwischen ihm und Kelly war es nicht mehr wie früher, seit Fair sich an dich rangemacht hat, aber wir sind befreundet geblieben.«
»Das war voriges Jahr. Alle waren betrunken! Sieh mal, Harry, die Menschen wollen sich nicht in Selbstbetrachtungen ergehen. Lass mich dir einen Rat geben, was Crozet betrifft.«
Harry unterbrach sie. »Ich habe mein ganzes Leben hier gelebt. Was weißt du, das ich nicht weiß?«
»Dass eine Scheidung die Leute erschreckt. Von außen betrachtet schien eure Ehe in Ordnung. Die Leute wollen nicht glauben, dass der Schein trügen könnte. Jetzt hast du Verwirrung gestiftet. Du siehst vielleicht in dich hinein, aber das nützt dir in der öffentlichen Meinung gar nichts. Wir befinden uns in Albemarle County. Keine Veränderungen bitte. Lass alles, wie es ist. Bleib, wie du bist. Sich ändern wird als Schuldgeständnis betrachtet. Himmel, die Leute leben lieber in ihrem häuslichen Elend, als dass sie eine Chance ergreifen, etwas daran zu ändern.«
Noch nie hatte Harry von Boom Boom derart unverblümte Wahrheiten zu hören bekommen. Sie machte den Mund auf, aber sie brachte keinen Ton heraus. Schließlich fand sie die Sprache wieder. »Wie ich sehe, hast du viel nachgedacht.«
»Allerdings.«
Das Gespräch hatte die Spannung vergrößert, anstatt sie aufzulösen.
Als Harry nach Hause fuhr, kam es ihr vor, als seien die Nachmittagsschatten länger geworden. Das Gefühl einer Bedrohung begann sie zu quälen.
Sie blieb bei ihrem eingespielten täglichen Einerlei, wie es alle taten. Anfangs hatten dieses Einerlei wie auch der Gedanke an die Scheidung ihr Entsetzen über die Morde gedämpft, aber jetzt fühlte sie sich aus dem Gleichgewicht geworfen, das Einerlei erschien ihr wie eine Farce. Die makabren Morde wurden ihr allmählich in ihrer ganzen Realität bewusst.
Sie trat aufs Gaspedal, aber sie konnte den Schatten, die die sinkende Sonne warf, nicht davonfahren.
31
»Schade, dass Du nicht hier bist.« Harrys Hände zitterten, als sie die an Mrs George Hogendobber adressierte Postkarte las. Die Vorderseite der Karte war eine schöne Hochglanzfotografie von Puschkins Grab. Wieder nahm ein sorgfältig gefälschter Poststempel die obere rechte Ecke der Rückseite ein.
Harry rief Rick Shaw an, aber er war nicht im Büro. »Dann holen Sie ihn!«, schrie sie die Telefonistin an. Anschließend drückte sie auf den Knopf und wählte Mrs Hogendobbers Nummer.
»Hallo.«
Harry hätte nie gedacht, dass sie einmal so froh sein würde, diese energische Stimme zu hören. »Mrs Hogendobber, geht es Ihnen gut?«
»Sie rufen mich am frühen Morgen an, um zu hören, ob es mir gut geht? Ich bin in einer Viertelstunde sowieso bei Ihnen.«
»Ich hole Sie ab.« Harry rang nach Luft und atmete tief durch.
»Wie bitte? Mary Minor Haristeen, ich bin schon zum Postamt gegangen, als Sie noch nicht auf der Welt waren.«
»Bitte tun Sie, was ich sage, Mrs H. Gehen Sie auf die vordere Veranda, sodass alle Sie sehen können. Ich bin in einer Minute da. Tun Sie’s, bitte.« Sie legte den Hörer auf und stürmte aus der Tür, dicht gefolgt von Tucker und Mrs Murphy.
Mrs Hogendobber schwang auf ihrer Hollywood-Schaukel, eine perplexe Mrs Hogendobber, eine verärgerte Mrs Hogendobber, aber eine lebendige Mrs Hogendobber.
Harry brach bei ihrem Anblick in Tränen aus. »Gott sei Dank!«
»Um Himmels willen, was ist mit Ihnen, Mädchen? Sie brauchen Alka-Seltzer.«
»Sie müssen hier weg. Raus aus Crozet. Wie wär’s mit Ihrer Schwester in Greenville, North Carolina?«
»Da ist es genauso heiß wie hier.«
»Wie wär’s mit Ihrem Neffen in Atlanta?«
»Atlanta ist noch schlimmer als Greenville. Ich gehe nirgends hin. Leiden Sie unter einem Hitzschlag? Vielleicht sind Sie überarbeitet. Wollen wir nicht hineingehen und zusammen beten? Dann werden Sie bald die Hand des Herrn auf Ihrer Schulter spüren.«
»Das hoffe ich inständig, aber Sie kommen mit mir ins Postamt und gehen nicht wieder weg, bis Rick Shaw eintrifft.«
Tucker leckte Mrs
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