Mrs Murphy 03: Mord in Monticello
zusätzliche Naht im Schädel, die vom oberen Teil des Nasenbogens bis zum Scheitel verläuft. Noch aufschlussreicher ist vielleicht der Krümmungsgrad der langen Knochen, insbesondere der Oberschenkelknochen. Skelette von Weißen weisen normalerweise eine größere Krümmung am Oberschenkelhals auf.«
»Erstaunlich.«
»Allerdings«, stimmte der Sheriff zu.
»Ich danke Ihnen«, sagte Mim höflich und legte auf.
»Nun?«, fragte Cooper.
»Sie hat kein Riechsalz gebraucht.« Rick spielte auf die Damen der viktorianischen Zeit an, die beim Vernehmen unerfreulicher Neuigkeiten regelmäßig in Ohnmacht fielen. »Fahren wir schleunigst zu Kimball Haynes. Ich möchte ihn sprechen, ohne dass Oliver Zeve dabei ist. Oliver wird ihn kaltstellen, wenn er kann.«
»Boss, der Direktor von Monticello wird den Lauf der Gerechtigkeit nicht behindern. Ich weiß, dass Oliver da oben auf dem Drahtseil tanzt, aber er ist kein Verbrecher.«
»Nein, das nehme ich auch nicht an, aber er ist in dieser Angelegenheit so überempfindlich. Er wird Kimball Steine in den Weg legen, dabei denke ich, dass Kimball der Einzige ist, der uns zu dem Mörder führen kann.«
»Ich glaube, es war Medley Orion.«
»Wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, Sie sollen keine voreiligen Schlüsse ziehen?«
»Zigmillionenmal.« Sie verdrehte die großen blauen Augen. »Und ich tu’s trotzdem.«
»Und zwar die meiste Zeit.« Er trat nach ihr, als sie an ihm vorbeiging, um ihre Zigarette auszudrücken. »Zufällig bin ich Ihrer Meinung. Es war Medley oder ein Freund, ihr Vater, jemand, der ihr nahestand. Wenn wir nur das Motiv hätten – Kimball kennt die damalige Zeit in- und auswendig, und er hat ein Gespür für die Menschen.«
»Den hat’s gepackt.«
»Häh?«
»Harry hat mir erzählt, Kimball brütet Tag und Nacht über diesem Fall.«
»Harry – demnächst lässt sie noch die Katze und den Hund darauf los.«
31
Die frische, schwere Nachtluft trug Tuckers Nase Geschichten zu. Rehe folgten den warmen Luftströmungen, Waschbären strichen um Monticello herum, ein Opossum ruhte auf einem Ast des Schneeglöckchenbaums in der Nähe der Terrasse, die Mrs Murphy ebenso wie Kimball als Promenade empfand. Fledermäuse flogen im Tulpenbaum, in der Rotbuche und in den Dachtraufen des Ziegelhauses ein und aus.
»Ich bin froh, dass es in Monticello Fledermäuse gibt.« Mrs Murphy sah den kleinen Tieren zu, die im rechten Winkel davonschießen konnten, wenn ihnen danach war.
»Warum?« Tucker setzte sich.
»Weil diese Stätte durch sie nicht ganz so hehr und erhaben ist. Zu Thomas Jeffersons Lebzeiten hat’s hier bestimmt nicht so piekfein ausgesehen. Die Bäume können nicht so groß gewesen sein. Der Abfall musste irgendwohin geschafft werden – verstehst du? –, und es muss ziemlich laut zugegangen sein. Jetzt herrscht ehrfürchtige Stille, wenn man mal von dem Füßeschlurfen der Besucher absieht.«
»Muss lustig gewesen sein, die vielen Enkelkinder, die Sklaven, die sich was zuriefen, das Klingklang in der Schmiede, das Wiehern der Pferde. Ich seh’s genau vor mir, und ich kann mir vorstellen, dass ein intelligenter Corgi Mr Jefferson auf seinen Ritten begleitet hat.«
»Denkste. Wenn er Hunde mitgenommen hätte, dann große, Dalmatiner oder Jagdhunde.«
»Dalmatiner?« Tucker ließ einen Moment die Ohren hängen, als sie an ihre gefleckten Rivalen dachte. »Er hatte bestimmt keine Dalmatiner. Ich glaube, er hatte Corgis. Wir sind gute Hütehunde, und wir hätten uns nützlich machen können.«
»Dann wärt ihr aber draußen bei den Kühen gewesen.«
»Bei den Pferden.«
»Kühen.«
»Ach, was weißt du denn schon? Fehlt bloß noch, dass du behauptest, eine Katze hat Jefferson die Hand geführt, als er die Unabhängigkeitserklärung schrieb.«
Mrs Murphys Schnurrhaare zuckten. »Eine Katze hätte den Satz, dass alle Menschen gleich sind, niemals durchgehen lassen. Nicht nur, dass die Menschen nicht alle gleich sind, auch Katzen sind nicht alle gleich. Manche Katzen sind gleicher als andere, wenn du verstehst, was ich meine.«
Tucker kicherte. »Er hat die Erklärung in Philadelphia geschrieben. Vielleicht hat das seinen Verstand beeinträchtigt.«
»Philadelphia war damals eine schöne Stadt. Zum Teil ist sie das heute noch, aber sie ist einfach zu groß geworden. Alle unsere Städte werden zu groß. Aber egal, jedenfalls ist es absurd, so einen Satz zu Pergament zu bringen. Die Menschen sind nicht gleich. Und wir wissen genau,
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