Mrs Murphy 06: Tödliches Beileid
er wird ein guter Spieler.«
»Hasst du mich?« Ihre verschleierten Augen blickten ihn flehend an.
»Nein. Ich hasse mich selbst.«
»Hast du irgendwem erzählt, dass -«
»Natürlich nicht.«
»Erzähl’s nicht.«
»Was wirst du tun?«
»Es loswerden.«
Er atmete schwer und schwieg lange. »Ich wünschte, du würdest das nicht tun.«
»Sean, die Wahrheit ist – ich bin noch nicht reif dafür. Und du auch nicht, und außerdem – vielleicht ist es gar nicht von dir.«
»Aber du hast gesagt -«
»Ich wollte dir wehtun. Es könnte von dir sein oder auch nicht. Also vergiss es einfach. Vergiss die ganze Geschichte. Mein Dad sitzt im Gefängnis. Denk dran – mein Dad sitzt im Gefängnis.«
»Warum hat er Mr Fletcher und Mr McKinchie ermordet?«
»Ich weiß es nicht.«
Die Wirkung des Schmerzmittels ließ nach. Schweiß perlte auf Seans Stirn. »Es war so schön mit uns.« Er drückte auf den Knopf, um die Schwester zu rufen. »Jody, ich brauche eine Spritze.«
»Ich geh schon. Keine Bange. Hast du ganz bestimmt niemandem was erzählt?«
»Bestimmt nicht.«
»Dann bis später.« Sie ging an Mr Hallahan vorbei, der in dem Moment, als sie draußen war, wieder in Seans Zimmer trat.
»Sie ist diejenige, welche.«
»Nein.« Mit verzerrtem Gesicht bat Sean: »Dad, kannst du die Schwester holen? Ich habe Schmerzen, es tut furchtbar weh.«
67
Am selben Abend sichteten Cynthia Cooper und Little Mim in Little Mims hübschem Cottage auf dem riesigen Anwesen ihrer Mutter die Papiere.
»Was glauben Sie, warum April es sich schließlich anders überlegt hat?«, fragte Little Mim.
»Sie muss wohl von Roscoes Affäre mit Irene gehört haben«, antwortete Coop. »Plötzlich stand ihr Held auf tönernen Füßen.«
Die Protokolle der diversen Komiteeversammlungen bargen keine Überraschungen.
Roscoes Protokollheft, das handschriftliche Notizen über eventuelle Spender enthielt, die er nach informellen Treffen oder Telefongesprächen aufgezeichnet hatte, war schon eher ein Hammer.
Nach einem Treffen mit Kendrick Miller hatte Roscoe gekritzelt: »Über Frauensport gesprochen, vor allem über eine neue Trainingshalle für die Mädchen. Whirlpool. Wollte keinen Penny rausrücken. Knickerige Drecksau.«
Über Father Michaels lange Gebete während der Versammlung: »Ein schlichtes ›Segne uns, oh Herr‹ hätte genügt.«
Nach einer besonders harten Lehrerkonferenz, auf der eine kleine, aber gut organisierte Gruppe sich gegen den Ausbau des Sports und gegen eine Filmabteilung ausgesprochen hatte, schrieb er über Sandy Brashiers: »Judas.«
Während Little Mim gelegentlich pikante Passagen vorlas, ging Cynthia mithilfe eines Taschenrechners die Kontokorrentbücher durch.
»Ich hatte keine Ahnung, dass es so viel Geld kostet, St. Elizabeth zu betreiben.« Sie überprüfte die Zahlen doppelt und dreifach.
»Was am meisten schmerzt, ist der Unterhalt. Die älteren Gebäude schlucken viel Geld.«
»Ich nehme an, sie wurden gebaut, bevor man Isoliermaterial verwendete.«
»Das alte Hauptgebäude wurde 1834 errichtet.«
Cynthia nahm sich das letzte Buch vor, einen in grünes Tuch gebundenen Band, länger als breit. Sie schlug eine Seite mit Zahlen auf, ohne sich die Vorderseite anzusehen. Während sie munter Zahlen eintippte, summte sie. »Können Sie sich erinnern, was in der ersten Septemberwoche fünftausend Dollar gekostet hat? Da steht ›W.T.‹« Sie deutete auf den Aktenordner.
»Da klingelt nichts bei mir.«
Cynthia tippte weitere Zahlen ein.
»He, das ist gut.« Little Mim lachte und las vor: »›Big Mim hat vorgeschlagen, dass ich Darla McKinchie einwickeln und dazu bringen soll, Geld aus Kendrick rauszukitzeln. Ich habe ihr gesagt, dass Darla sich nicht für St. Elizabeth oder die Karriere ihres Mannes interessiert und meines Wissens nichts für den Staat Virginia übrighat. Sie erwiderte: ›Wie gewöhnlich!‹‹«
Little Mim schüttelte den Kopf. »Sie kann mich nie etwas selbstständig machen lassen. Ich bin im Komitee, nicht sie.«
»Sie möchte doch nur helfen.«
Marilyns haselnussbraune Augen trübten sich. »Helfen? Meine Mutter will an der Spitze von jedem Komitee, jeder Organisation, jeder potenziellen Kampagne stehen. Sie ist unermüdlich.«
»Was hat einundvierzigtausend Dollar gekostet?«
Little Mim legte Roscoes Protokollheft hin, um in den Ordner zu sehen. »Einundvierzigtausend Dollar am 28. Oktober. Da war Roscoe schon tot.« Sie schnappte sich den Ordner, blätterte
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