Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)
Satie-Stück verunstaltete. Doch sie hielt das Versprechen, das sie sich selbst gegeben hatte, Sherri einen goldenen Stern zu geben, und das Mädchen verließ am Ende der Stunde glückselig das Haus.
Clarices Schülerstamm war gewachsen, seit sie hergezogen war. Die wohlhabenden Familien aus dem neuen Leaning Tree waren begeistert, eine Klavierlehrerin in Gehweite zu haben, die eine regionale Berühmtheit war. Und samstags war ihr längster Unterrichtstag. Am Abend war sie ziemlich erschöpft. Sie brühte sich eine frische Tasse Tee auf und setzte sich wieder ans Klavier, um eine Kleinigkeit zu spielen und den Klang der holprigen Darbietungen ihrer Schüler zu vertreiben – mit einer Art musikalischem Sorbet.
Sie hatte gerade wieder auf der Bank Platz genommen, als ein nachdrückliches Hämmern an der Haustür die Abendruhe beendete. Als sie durchs Schlüsselloch spähte, erwartete sie Richmond oder ihre Mutter, die ihr erneut die Leviten lesen wollten. Stattdessen stand Reverend Peterson draußen auf der Veranda. Mit seinem dunklen, faltigen Gesicht gelang es ihm, sorgenvoll, beschwörend und stocksauer zugleich zu wirken. Sie griff schon nach dem Türknauf, um ihn hereinzulassen, aber dann überlegte sie es sich anders.
Vielleicht war es noch mehr verlagerte Wut, aber sie konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass sie besser dran war ohne den Rat von Reverend Peterson. Sie fand, seine Erfolgsbilanz war ziemlich schlecht. Sie war jahrelang seiner Regie gefolgt und dabei zu dem Glauben gekommen, dass Selbstachtung bei einer Frau gleichbedeutend mit der Todsünde Stolz war. Und sein Ratschlag, zu schweigen und zu beten, während ihr Mann sie zum Narren hielt, indem er alles flachlegte, was er sah, hatte mit dafür gesorgt, dass Richmond ein verwöhnter kleiner Junge geblieben war, anstatt zu dem Mann zu werden, zu dem er sich vielleicht hätte mausern können. Okay, es war vielleicht etwas gewagt, Reverend Peterson die Schuld dafür zu geben, aber sie war gerade nicht in der Stimmung dafür, fair zu spielen.
Egal ob nun fair oder nicht, überlegt oder nicht, der Hölle geweiht oder nicht, Clarice drehte sich um und ging zurück an ihr Klavier. Sie nahm Platz und begann, zum Rhythmus des beharrlichen Klopfens an der Tür, Brahms stürmisches Intermezzo in B-Moll zu spielen.
Während sie spielte, fühlte sie, wie der Stress des Tages langsam schwand. Clarice dachte sich: Gott und ich verständigen uns doch ganz gut.
30
Nachdem ich monatelang gute Testresultate gehabt hatte, wirkte meine Medizin plötzlich nicht mehr. Also setzte mich mein Arzt auf eine andere Kur. Die erste Behandlung mit der neuen Medikation machte mir weitaus mehr zu schaffen, als die schlimmsten Tage mit der alten Zusammensetzung. Und als ich aufhörte, mich so krank zu fühlen, fing ich an, mich völlig geschwächt zu fühlen.
Meine Chefs hatten sich sehr hilfsbereit gezeigt und meine Arbeitszeiten an die Chemo angepasst. Aber die neue Behandlung machte mich so fertig, dass ich um eine Beurlaubung bitten musste. Der Direktor der Schule und der Kantinenkoordinator bei der Schulbehörde waren sehr verständnisvoll und sagten mir, ich könne mir so viel Zeit nehmen, wie ich brauche, bevor ich zurückkäme. Aber ihre Blicke sagten mir, dass sie nicht mit meiner Rückkehr rechneten.
Eines Morgens, kurz nachdem James zur Arbeit gegangen war, hatte ich einen ziemlich schlechten Moment. Ich fühlte mich fiebrig, und alles tat mir weh. Ich war froh, dass es noch nicht so schlimm gewesen war, als er noch da war. Es war beinahe unmöglich, James aus der Tür zu bewegen, wenn er das Gefühl hatte, es ginge mir nicht gut. Wenn ich in seinen Augen nicht okay war, stellte er auf stur und erklärte, es käme für ihn nicht in Frage, mich alleine zu lassen. Dann saß er da und starrte mich an wie ein verwaister Welpe, bis ich ihn davon überzeugt hatte, dass ich mich besser fühlte.
Natürlich musste sich James eigentlich keine Sorgen machen, dass ich alleine war. Die Kinder riefen mich jeden Tag an, um sich nach meinem Zustand zu erkundigen, und wir unterhielten uns stundenlang. Auch mein Bruder Rudy meldete sich mehrmals pro Woche, und Barbara Jean und Clarice gingen die ganze Zeit bei uns ein und aus. Selbst Mama schwebte jeden Tag herein, um mir Gesellschaft zu leisten. Auch an diesem Morgen war sie da, als ich mit einem nassen Handtuch auf der Stirn aus dem Badezimmer geschlurft kam.
»Du hast abgenommen«, sagte Mama.
Ich blickte an mir
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