Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)
herumhasteten und wieder in ihre Klamotten stiegen. Die junge Frau war nicht Sharon.
Ich blickte Clarice an und fragte mich, ohne es laut auszusprechen: Wer zum Teufel ist das denn?
Clarice schien meine Gedanken zu lesen. »Ihr Name ist Cherokee.«
»Was? Etwa wie der Indianerstamm?«
»Nein, wie der Jeep. Komm rein, dann erzähl ich dir alles über sie. Ich hab noch gebratene Pute übrig. Hast du Hunger?«
Bei der Erwähnung des Putenbratens knurrte mein Magen, und ich war überrascht, dass ich ehrlich antworten konnte: »Ja, in der Tat, ich habe Hunger.«
Wir verließen den Garten und schlenderten zum Haus. Mama kam mit uns und sagte: »Ich hab dir doch gesagt, deine Mama weiß, wie du wieder Appetit bekommst.« Und damit gingen wir drei durch die Hintertür in Mamas altes Haus.
32
Barbara Jeans Pate bei den Anonymen Alkoholikern war ein Mann namens Carlo, der Sprachtherapie an der Universität lehrte. Carlo war ein pummeliger Sonnenbankfan, dessen karottenfarbene Haut die Beschaffenheit einer Krokodilledertasche hatte. Er war einige Jahre jünger als Barbara Jean, sah aber viel älter aus. Er hatte eine ungewöhnlich lange, spitze Nase, ein breites Kinn und leichte Glubschaugen. Doch trotz der komischen Häufung markanter Züge, die um die Vormachtstellung in seinem Gesicht zu wetteifern schienen, fand Barbara Jean, dass er gar nicht so schlecht aussah. Irgendwie spielte alles so zusammen, dass sich die verschiedenen unvorteilhaften Aspekte gegenseitig aufhoben.
Carlo lebte mit seinem Partner zusammen, der wie er ein ehemaliger Trinker war, und manchmal auch mit zu den Treffen kam. Barbara Jean hatte ihn als ihren Paten ausgewählt, weil er schwul war. Manchmal wenn sie nachts nicht schlafen konnte, schaute sie Fernsehsendungen, in denen homosexuelle Männer vorkamen, die ununterbrochen shoppten und witzige Unterhaltungen führten. Sie dachte, so ein Pate wäre unheimlich unterhaltsam. Barbara Jean war enttäuscht, als sie feststellen musste, dass Carlo wohl andere Fernsehsendungen schaute. Sie mochte ihn recht gern, aber mit seiner schroffen, ernsten Art unterschied er sich so sehr von den T V -Schwulen, wie sie selbst sich von den großmäuligen, klugschwätzenden schwarzen Frauen, die die Fernsehwelt bevölkerten. Wie sich herausstellte, war Carlo eine große, schwule Nervensäge.
In etwa zu der Zeit, als Barbara Jean sich erfolgreich eingeredet hatte, dass sie diese Sache mit den Anonymen Alkoholikern komplett gemeistert habe, rief Carlo sie an und bat um ein Treffen. Sie verabredeten sich in einem Café nahe des Campus. Es war ein düsterer, beengter Laden mit Bücherregalen an allen Wänden, der auf ein studentisches Publikum abzielte. Sie trafen sich früh am Tag, kurz nachdem der erste Ansturm gestresster Studenten sich gelegt hatte. Barbara Jean kam bewaffnet mit einer Einkaufsliste, bereit den spaßigen Teil ihrer Beziehung einzuläuten.
Sie war vor ihm im Café und fand an einem der Tische Platz, die alle aus alten Industriekabeltrommeln gemacht waren. Als Carlo ihr gegenüber Platz nahm, begrüßte sie ihn und beteuerte, wie sehr sie sich gefreut habe, als er angerufen hatte. Sie habe selbst schon daran gedacht, wie nett es doch wäre, einmal gemeinsam zu brunchen, sie sei bloß noch nicht dazu gekommen, ihn zu sich nach Hause einzuladen.
Er unterbrach sie. »Barbara Jean, ich scheine nicht der richtige Pate für dich zu sein, der dir helfen kann, deine Genesung ernst zu nehmen.«
»Warum sagst du das?«, fragte sie.
Carlo verschränkte die Arme vor der Brust und starrte sie an. Eine seiner Augenbrauen zog sich hoch. »Deine Augen sind total blutunterlaufen, und du bist betrunken.«
Sie legte theatralisch die Hand an die Brust und rang nach Luft, um Carlo zu zeigen, wie entrüstet sie war. Sie wäre von ihrem Stuhl aufgesprungen und aus dem Café gestürmt, wenn sie nicht ein ganz kleines bisschen angeheitert gewesen wäre und Angst gehabt hätte, sich vor ihm auf die Nase zu legen. »Ich kann nicht glauben, dass du das zu mir sagst!« Barbara Jean setzte ihre Sonnenbrille auf und pustete sich, als sie sie auf der Nase zurechtrückte, unauffällig in die Hand, um ihren Atem auf den verräterischen Alkoholgeruch zu testen. »Ich wüsste nicht, wie ich meine Abstinenz noch ernster nehmen könnte. Ich habe praktisch den ganzen Tag lang dieses verdammte Gelassenheitsgebet auf den Lippen. Und ich gehe jetzt seit zwei Monaten zu drei Treffen pro Woche. Drei Treffen!«
Er rümpfte seine lange
Weitere Kostenlose Bücher