Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)
Nase und sagte: »Bist du dir sicher, dass du nicht bloß zu einem Treffen pro Woche gegangen bist, aber so betrunken warst, dass du es dreimal gesehen hast?«
Barbara Jean spürte, wie eine Träne unter ihrer Sonnenbrille hervorquoll und ihr die Wange hinunterlief. Sie nahm eine Serviette vom Tisch und wischte sie so schnell wie möglich weg.
Carlos Tonfall wurde weicher, was eigentlich seiner Natur widersprach und ihm deshalb, das wusste sie, schwerfiel. Er sagte: »Barbara Jean, ich mag dich. In deiner Gesellschaft fühlt man sich wohl, und du bist wirklich eine nette Frau. Aber ich kann dir nicht helfen. Und offen gestanden tut es mir nicht gut, Zeit mit jemandem zu verbringen, der so weitertrinkt wie du. Besonders, wenn es jemand ist, den ich ins Herz geschlossen habe wie dich.«
Barbara Jean rang nach Worten. Sie murmelte ein paar Sätze darüber, wie unrecht er doch habe, und wie sehr es sie verletze, dass er ihr nicht glaube. Aber sie war schon nicht mehr mit dem Herzen bei ihrer Lüge. Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und sagte: »Manche Leute haben eben gute Gründe zu trinken, weißt du. Verdammt gute Gründe. Ich würde dir gern eine Geschichte erzählen. Und wenn ich damit fertig bin, dann schau mir in die Augen, und sag mir, dass ich nicht hin und wieder einen Drink nehmen soll.«
Sie nippte von ihrem Kaffee, den sie, bevor Carlo im Café angekommen war, mit einem guten Schuss irischem Whiskey aus ihrem Flachmann versetzt hatte. Dann erzählte sie Carlo eine Geschichte, die sie bisher noch nicht einmal Odette oder Clarice erzählt hatte.
Am Abend von Adams Beerdigung blieben Odette und Clarice noch da, nachdem alle anderen Barbara Jeans Haus wieder verlassen hatten. Nachdem sie ihrem Mädchen beim Aufräumen geholfen hatten – die Gäste hatten das Haus mit mehr Essen und Anteilnahme gefüllt, als Barbara Jean vertragen konnte –, wurden sie von ihrer Freundin hinauskomplimentiert. Lester, der bloß ein paar Wochen vom ersten einer langen Reihe von Krankenhausaufenthalten entfernt war, die nun in kurzen Abständen folgen würden, sank noch in seinem schwarzen Anzug aufs Bett. Sobald er schnarchte, schlich sich Barbara Jean aus dem Haus.
Sie ging zu Big Earl. Draußen war es kühl und neblig, aber da saß er, eine Zigarre rauchend in der Hollywoodschaukel auf der Veranda, als sie den Weg zum Haus heraufkam. Es war, als hätte er auf sie gewartet. Als sie vor ihm stand, blickte er zu ihr auf und sagte: »Liebes, du solltest nach Hause gehen.«
»Ich muss wissen, wo er ist«, sagte sie, ohne sich die Mühe zu machen, seinen Namen zu nennen. Obwohl Chick nie wieder einen Fuß in Earl’s Diner gesetzt oder den Versuch unternommen hatte, sie zu treffen, wusste Barbara Jean, dass er mindestens schon seit zwei Jahren wieder in Plainview war. Sie hatte ihn ins Haus der McIntyres gehen und wieder herauskommen sehen, und sie hatte gehört, wie Little Earl gesagt hatte, dass Chick nun häufig zu Besuch käme, seit Miss Thelma krank war.
»Du und Ray, ihr habt seit neun Jahren nicht miteinander gesprochen«, sagte Big Earl. »Es bringt doch nichts, jetzt mit ihm zu reden.«
»Ich muss ihn sehen. Und ich weiß, du kannst mir sagen, wo ich ihn finde.«
»Pass auf, Barbara Jean. Du bist gerade nicht in der Verfassung, gute Entscheidungen zu treffen. Du solltest dir Zeit lassen, bevor du etwas tust, was dir vielleicht noch mehr Kummer bereiten wird.«
» Mehr Kummer? « Sie lachte bei diesem Gedanken, und Big Earl zuckte beim Klang ihres Lachens zusammen. In seinen Ohren hörte es sich wie hysterisches Kreischen an. Sie sagte: »Ich muss mit Chick reden, und ich werde es noch heute Nacht tun. Also, sagst du mir jetzt, wo er wohnt? Oder muss ich die Wall Road runterfahren, an der Stelle vorbei, wo mein Junge gestorben ist, und Desmond Carlson fragen, wo ich seinen Bruder finden kann?«
Big Earl starrte hinunter auf seine Füße und schüttelte langsam den Kopf. Dann sah er zu Barbara Jean auf und nannte ihr die Adresse. Als sie ging, sagte er: »Pass auf, Liebes. Pass auf.«
Chick wohnte in einer Straße nahe der Universität, wo es hauptsächlich Studentenunterkünfte gab, kleine, quadratische Schuhschachteln, die in Pastelltönen gestrichen waren. Ging er auf die Uni? Sie wusste gar nichts von seinem Leben, seit er nach Plainview zurückgekehrt war. War er verheiratet? Würde sie eine ganze Familie aufschrecken? Sie saß in ihrem Auto auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor seinem Haus und
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