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Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Titel: Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Kelsey Moore
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nickte zustimmend. Sogar Mrs Roosevelt setzte sich ganz aufrecht hin und zupfte ihre Fuchsstola zurecht. Auch nach Jahrzehnten war Ray Carlson noch immer der König der hübschen weißen Jungs.
    Chick sah meinen hohläugigen, ausgezehrten Ehemann prüfend an und tat dann das, was alle meine Freunde bisher getan hatten. Er drängte James so lange, bis dieser seinen Posten verließ, um etwas zu essen, während Chick über mich wachte.
    Als James fort war, setzte sich Chick auf den Besucherstuhl und fing an, mit meinem reglosen Körper zu sprechen. Zuerst redete er über das All-You-Can-Eat und Big Earl, über alles Mögliche aus der Vergangenheit. Er hatte mich ein paar Mal zu Hause besucht, seit er vor einigen Monaten zum ersten Mal bei meiner Chemotherapie im Krankenhaus aufgetaucht war. Und jedes Mal hatte er sich zu mir gesetzt und wollte die alten Zeiten wieder aufleben lassen und sie analysieren. Er war genauso in der Vergangenheit gefangen wie Barbara Jean.
    An diesem Tag auf der Intensivstation erzählte er mir eine Geschichte, bei der ich mir wünschte, ich hätte mich aufsetzen und sofort Clarice anrufen können. Er erläuterte mir bis ins Kleinste alles über sein wissenschaftliches Projekt an der Universität und wie es ihnen letzten Samstag gelungen sei, zwei aufgepäppelte Wanderfalken wieder in die Freiheit zu entlassen. In anschaulichen Details beschrieb er, wie sich die Falken, beobachtet von Nachrichtenkamerateams und beeindruckten Geldgebern des Projekts, in die Lüfte geschwungen hatten. Diese Vögel, sagte er, seien ganz einfach majestätische, Ehrfurcht gebietende Tiere.
    Ich musste an die beiden Falken denken, die am Samstag bei Sharons Hochzeit plötzlich herabgeschossen gekommen waren, und dachte mir: »Majestätisch, Ehrfurcht gebietend und hungrig .«
    Draußen hörte ich eine der Krankenschwestern sagen: »Oh hallo, Mrs Maxberry.« Die Belegschaft kannte Barbara Jean noch von ihren vielen Besuchen auf der Intensivstation, wenn Lester mal wieder etwas entfernt, wieder angenäht, geflickt oder ersetzt bekommen hatte. Als Barbara Jean mein Zimmer betrat, sprang Chick von seinem Stuhl auf, als stünde die Sitzfläche plötzlich unter Strom. Sie begrüßten sich und standen dann da und starrten sich gegenseitig an. Sie waren wie zwei Teenager beim Schulball – beide begierig darauf, etwas zu sagen, aber keiner von ihnen wusste, was.
    Dann behauptete Chick, er sei gerade auf dem Sprung gewesen, obwohl er James versprochen hatte, er würde dableiben, bis dieser zurück sei. Er sagte: »Es war schön, dich zu sehen, Barbara Jean.« Dann beobachtete ich durch die Glaswände meines Zimmers, wie er an den kichernden Krankenschwestern vorbei zum Aufzug ging. Alle paar Schritte sah er über die Schulter zurück, um noch einen Blick auf die schönste Frau der Stadt zu erhaschen.
    Barbara Jean setzte sich auf den leeren Besucherstuhl und kaute eine Weile auf ihrer Lippe, dann fing sie an zu reden. Der Bettkanten-Beichtstuhl war wieder geöffnet.
    »Mein Pate Carlo meint, ich soll mit Chick reden. Er meint, ich muss versuchen, es wiedergutzumachen. Das ist einer der zwölf Schritte. Weißt du, ich hab etwas Schreckliches gemacht, von dem ich dir nie erzählt habe.«
    Dann vertraute mir Barbara Jean die Geschichte an, wie sie am Beerdigungstag ihres Sohnes zu Chick gegangen war und wie sehr das, was sie in jener Nacht in Gang gesetzt hatte, ihr seither auf der Seele lastete. Als sie am Ende ihrer Geschichte angekommen war, weinte sie heftig. Ihre Tränen verschmierten die Schminke auf ihrem Gesicht und tropften auf ihre taubenblaue Bluse, wo sie braune und schwarze Flecken hinterließen. Aber sie versuchte erst gar nicht, sie wegzutupfen.
    Immer wenn man glaubt, die Welt berge keine weiteren Geheimnisse mehr für einen , dachte ich. Anders als die meisten Leute, die ich kannte, hatte ich den Gerüchten, Lester hätte Desmond Carlson erschossen, niemals Glauben geschenkt. Auch wenn Desmond den kleinen Adam auf dem Gewissen hatte, konnte es nicht Lester gewesen sein, der damals den Abzug betätigt hatte. Ehemaliger Soldat hin oder her, aber Lester war kein Mörder. Die Wahrheit war, dass ich immer angenommen hatte, dass es Barbara Jean selbst gewesen war. Wahrscheinlich, weil es das war, was ich an ihrer Stelle getan hätte. Auch die Tatsache, dass sie sich danach mit ihrer Trinkerei beinahe zugrunde gerichtet hatte, war für mich ein Grund, zu glauben, dass sie nicht nur trauerte, sondern auch von

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