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Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Titel: Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Kelsey Moore
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zurückkommen«, und wir wechselten ein paar Worte. Doch dann kam wieder die Flut, und plötzlich konnte er nicht mehr verstehen, was ich zu ihm sagte, obwohl ich aus vollem Hals schrie. Immer wenn das passierte, sah Eleanor Roosevelt mich stirnrunzelnd an, hielt sich die Ohren zu und sagte: »Hör mit dem Geschrei auf. Das weckt ja Tote.« Jedes Mal, wenn sie diesen Witz machte, kicherte sie, als sei es das erste Mal, dass sie das sagte.
    An meinem ersten Tag im Krankenhaus erfuhr ich, als ich ein Gespräch zwichen Dr. Alex Soo und James belauschte, dass der Krebs zum ersten Mal seit Monaten nicht mehr das schlimmste Problem für meine Gesundheit war. Ich litt unter einer Infektion. Mein Herz und meine Lunge verbreiteten die Krankheit in meinem ganzen Körper, und auch Antibiotika konnte sie nicht aufhalten. Ich war, wie Alex es ausdrückte, »schwer krank«.
    Die Räume auf der Intensivstation waren in einem Viereck rund um ein Schwesternzimmer angeordnet. Jeder war gleich: ein Bett, ein Stuhl, ein Fenster und drei Glaswände. Wenn die Vorhänge, die sich in jedem Zimmer an den Wänden befanden, nicht zugezogen waren, konnte ich in jeden Raum der Station sehen. Aber ich musste gar nicht gucken, um zu wissen, wer in den anderen Betten lag, denn meine Nachbarn waren fast genauso oft auf den Beinen wie sie in ihren Betten lagen. Die Frau, die das Bett im Zimmer neben mir hatte, verließ regelmäßig ihren Körper, wanderte durch die Gänge und führte dabei kunstvolle Tänze mit einem Fächer aus weißen Straußenfedern auf. Der alte Mann gegenüber schwand dahin, als der Hauch eines Ventilators ihn erfasste. Doch ich sah ihn auch als blonden, breitschultrigen Fischer, der sich auf dem Weg zu seinem geheimen Angelplatz höflich an die mit Ködern verzierte Kappe tippte. Alle traten sie aus ihren kranken, zerstörten Körpern und verbrachten schöne Momente in alten Zeiten, bis sie von einem Hormonschub oder einem Medikament, das plötzlich Wirkung zeigte, wieder in ihre menschliche Hülle zurückgeholt wurden.
    Ich verließ meinen Körper nur, wenn ich schlief. Wenn ich wirklich schlief und nicht bloß von meiner Krankheit völlig außer Gefecht gesetzt war oder in einem Fiebertraum schwebte, flog ich immer an denselben Ort. Dann saß ich entspannt und allein am Fuße meines Platanenbaums in Leaning Tree. Diesen Ort, mit seiner Aussicht über den silbrigen Bach, in dem ich als Kind gespielt hatte, und auf die gekrümmten Bäume entlang der Wall Road, wieder verlassen zu müssen und zu den Geistern und dem Leid in meinem Krankenzimmer zurückzukehren war das Schwerste während dieser sechs Tage.
    Doch die Tage im Krankenhaus lehrten mich auch, dass man nur ins Koma fallen musste, wenn man die wirklich heiklen Details aus dem Leben der Leute hören wollte. Es war, als hätte man in meinem Zimmer einen Beichtstuhl eröffnet, der allen offen stand. Es kamen immer mehr Leute, die mir Dinge erzählten, die sie nicht übers Herz gebracht hatten, mir anzuvertrauen, als ich noch ansprechbar war.
    Clarice brachte den Ball ins Rollen, als sie am zweiten Tag im Krankenhaus vorbeischaute. Sie betrat mein Krankenzimmer und verfiel in allerlei optimistisches Geplauder. Sie erzählte James von Leuten, die sie kannte und die sich wieder erholt hatten, obwohl ihr Zustand noch viel schlimmer gewesen war als meiner. Dann redete sie davon, wie sicher sie sich sei, dass ich wieder rechtzeitig gesund und munter sein würde, um sie und Barbara Jean nach New York zu begleiten, wo sie ihrem alten Musikproduzenten vorspielen sollte. Irgendwann warf sie einen prüfenden Blick auf James, der tiefe Augenringe hatte und abgespannt wirkte, und schickte ihn in die Cafeteria, damit er etwas aß. Sobald er fort war, setzte sie sich auf meine Bettkante und beichtete mir, dass sie wieder mit Richmond schlief.
    Barbara Jean und ich hatten uns das schon längst zusammengereimt, aber Clarice schien so viel Freude an ihrem Geheimnis zu haben, dass wir es ihr nicht verderben wollten, indem wir ihr verrieten, dass wir Bescheid wussten.
    Leider hatte sie jedoch den Fehler gemacht, mit ihrer Mutter darüber zu sprechen. Nun machte Mrs Jordan Clarice Angst, dass sie auf dem besten Weg in die Hölle sei. Sie redete ihr ein, dass es der Gipfel der Schamlosigkeit wäre, wenn sie mit ihrem Ehemann zwar schlief, sich sonst aber weigerte, seine Frau zu sein.
    Clarice sagte: »Vielleicht sollte ich einfach wieder zurückgehen. Ich liebe es, ganz für mich allein in

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