Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)
Imitationen von Clarice gemacht. Er hat sich über die Tasten gebeugt und sich seufzend hin und her gewiegt. Es war unglaublich lustig, ihm zuzusehen, wie er mit so viel Begeisterung bei der Sache war, als er … was spielte er noch mal? ›Chopsticks?‹«
»›Heart and Soul‹«, erwiderte Clarice.
»Genau. ›Heart and Soul‹. Als er sie zum ersten Mal nachgemacht hat, haben Clarice und ich so gelacht, dass uns die Tränen kamen und wir uns hinsetzen mussten. Es war zum Schreien.«
Odette hatte diese Geschichte bereits an dem Tag gehört, an dem sie passiert war, und seither noch hunderte Male, aber Barbara Jean lachte, und das klang zu schön, als dass man sie unterbrechen wollte.
Barbara Jean sagte: »Er liebte Musik. Ich wette, er wäre richtig gut geworden.«
»Absolut. Er war sehr musikalisch, hatte eine natürliche Veranlagung dazu. Adam war talentiert.«
»Ja, das war er«, sagte Barbara Jean.
Den restlichen Vormittag über sprach sie von Adam. »Erinnert ihr euch noch dran, wie gern er gemalt hat? Er konnte Stunden in seinem Zimmer verbringen mit all seinen Buntstiften.«
»Ich werde nie vergessen, wie er Odettes Jungs beigebracht hat, wie James Brown zu tanzen. Ich sehe Eric noch vor mir, wie er quer durchs Zimmer tänzelte in seiner Trainingshose.«
»War er nicht der adretteste Junge, den man je gesehen hat? Ich hab noch nie einen Jungen gesehen, der so viel Aufhebens um seine Kleidung gemacht hat. Ein Kratzer auf den Schuhen, und er schmollte den ganzen Tag.«
Der nächste Morgen und die darauffolgenden Tage begannen immer gleich. Sie frühstückten, und im Anschluss spielte Clarice Klavier. Dann redete Barbara Jean über Adam und ließ zu, dass die Erinnerungen an ihn sie zurück ins Leben holten. Am Ende war es immer ein Geplauder und Gelächter, dass es eher so schien, als befänden sie sich auf einer ausgedehnten Pyjamaparty. Außer dass auf dieser Party das Gesprächsthema »Männer« sorgsam vermieden wurde. Kein Lester Maxberry. Kein Richmond Baker, was Clarice sehr gut passte. Und ganz bestimmt kein Chick Carlson. Was ihn betraf, taten Clarice und Odette beide so, als hätten sie ihn nach der Beerdigung in Big Earls Haus einfach nicht gesehen.
Als Barbara Jean ihren beiden Freundinnen an einem Morgen Mitte August für ihre Unterstützung dankte und sie freundlich, aber bestimmt hinauskomplimentierte, bedauerte Clarice, ungeachtet dieser positiven Entwicklung, gehen zu müssen. Zu diesem Zeitpunkt redete sie sich ein, ihr Widerstreben, die Pyjamaparty zu beenden, rühre daher, dass sie und ihre Freundinnen so viel Spaß zusammen gehabt hatten, weil sie einen Teil ihrer gemeinsam verbrachten Jugend wieder hatten aufleben lassen. Später musste sie sich jedoch eingestehen, dass es ihr davor graute, was sie zu Hause vorzufinden fürchtete.
Als Clarice nach zweiwöchiger Abwesenheit durch die Haustür kam, erwartete sie, als sie Richmonds Namen rief, nur ein leeres Haus. Nichts von dem Essen, das sie für ihn vorbereitet hatte, war angerührt. Und die Laken waren so frisch wie vor vierzehn Tagen, als sie das Bett bezogen hatte.
Als Richmond zwei Tage später nach Hause kam, gab er ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und erkundigte sich nach Barbara Jeans Befinden.
»Es geht ihr besser«, antwortete Clarice. »Hast du Hunger?«
Er sagte ja und küsste seine Frau noch einmal auf die Wange, nachdem sie verkündet hatte, sie werde Steak in Schinkenmantel und Bratkartoffeln machen, eines seiner Lieblingsgerichte.
Richmond duschte, während Clarice »Für Elise« summte und das Abendessen zubereitete. Er gab nie eine Erklärung ab, wo er geschlafen hatte, und Clarice fragte ihn auch nie danach.
10
Odette, Clarice und Barbara Jean wurden im Sommer 1967 zu den Supremes, direkt nach dem Ende ihres ersten Jahrs an der Highschool. Sie hatten schon seit ein paar Wochen keinen Unterricht mehr. Clarice war bei Odette, und sie machten sich zurecht, um anschließend ins All-You-Can-Eat zu gehen. Hin und wieder öffnete Big Earl das Restaurant an Samstagabenden für die Freunde seines Sohnes. Für die jungen Leute fühlte es sich abenteuerlich und erwachsen an, für einen Abend aus Leaning Tree heraus und ins Stadtzentrum von Plainview zu kommen. Ein Abend im All-You-Can-Eat war ihr erster Vorgeschmack auf die Freiheit des Erwachsenenlebens. In Wahrheit waren sie ihrem Zuhause und ihren Eltern entkommen, um unter den wachsamsten Augen der Stadt Cola zu trinken und Chicken Wings zu essen.
Weitere Kostenlose Bücher