Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)
Nirgends sonst auf der Welt hätten sie strenger überwacht werden können. Big Earl und Miss Thelma hatten eine Begabung dafür, Unruhestifter sofort zu erkennen und die Flausen aus dem Kopf zu treiben, und keine Teenager-Dummheit entging ihnen.
Mrs Jackson klopfte an Odettes Zimmertür, als Clarice gerade die Kommode ihrer Freundin nach etwas durchstöberte, das die grässlichen Kleider, die Odette immer trug, etwas aufpeppen oder kaschieren würde. Die blinde Großmutter, die ihre Kleider genäht hatte, als sie noch klein war, war bereits tot, aber ihr Stil und ihr Geschmack lebten in Odettes jämmerlichem Kleiderschrank weiter. Mrs Jackson sagte: »Bevor ihr zu Earl geht, möchte ich, dass ihr das hier schnell noch beim Haus von Mrs Perdue vorbeibringt.«
Sie reichte ihnen eine Pappschachtel, die mit einer Schnur zugebunden war. Die Oberfläche des Kartons war mit Fettflecken übersät, und er verströmte den Geruch von verbranntem Toast und rohem Knoblauch. Selbst Odettes drei Katzen – alles Streuner, die ihre wahre fürsorgliche Natur unter der Legt-euch-bloß-nicht-mit-mir-an-Hülle gewittert hatten und ihr nach Hause gefolgt waren, um von ihr adoptiert zu werden –, nahmen bei dem Gestank der Schachtel entsetzt Reißaus. Sie jaulten und schossen durch die Tür davon.
Odette nahm den Karton von ihrer Mutter entgegen und fragte: »Wer ist Mrs Perdue?«
»Das ist doch die Mutter von eurer kleinen Freundin Barbara Jean«, antwortete Mrs Jackson. »Sie wurde heute beerdigt, also habe ich ein Hühnchen für die Familie gebraten.«
Clarice blickte auf die Uhr und hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen. Sie waren um sieben mit Richmond und einem seiner Kumpels verabredet. Es war erst halb sechs, aber Clarice wusste aus Erfahrung, wie lang es dauern konnte, bis sie Odette von ihrem Normalzustand in jemanden verwandelt hatte, um den ein Junge unter Umständen seine Arme legen wollte. Da war ganz einfach für nichts anderes mehr Zeit.
Clarice war ungehalten. Sie war ein braves Mädchen. Sie hatte hervorragende Noten. Es verging kaum eine Saison, in der sie mit ihrem Klavierspiel nicht irgendeinen Preis oder eine Erwähnung in der Zeitung einheimste, die sich dann an den Wänden ihres Elternhauses zu dem Artikel über ihre Geburt gesellten. Und dennoch wurde sie jede Stunde des Tages mit Argusaugen überwacht. Ihr komplettes gesellschaftliches Leben trat in den Hintergrund angesichts der vier Stunden, die sie jeden Tag Klavier übte, um während der zwei Stunden Unterricht pro Woche zu glänzen. Diese erhielt sie von der international renommierten Klavierpädagogin Zara Olavsky, die an der Musikschule der Universität unterrichtete. Sie war angehalten, sich jede Stunde zu Hause zu melden, wenn sie unterwegs war, und von allen Teenagern der Stadt musste sie abends am frühesten zu Hause sein.
Ihre Eltern waren dieses Jahr sogar noch wachsamer geworden, da Richmond auf dem College und Clarice noch auf der Highschool war. Es gab keine Verabredungen, außer Doppeldates zusammen mit Odette. Clarice war sich sicher, dass ihre Eltern in Odette, mit ihrer schroffen Art Jungs gegenüber und ihren furchtbaren Outfits, die » Finger weg « knurrten, eine lebendige, sprechende Jungfräulichkeitsversicherung sahen. Nicht dass Odettes Gesicht so schlecht gewesen wäre. Im richtigen Licht konnte sie sogar ganz nett aussehen. Und ihre Figur war recht ordentlich, obenrum üppig und drall. Weiß der Himmel, wie viele Männer heimlich davon träumten, ihr einmal die Hände unter die Bluse zu schieben. Aber niemand traute sich, das furchtlose Mädchen zu begrapschen. Sie versprach einfach mehr Ärger, als es wert war. Richmond hatte jede Menge Gefallen eingefordert, damit seine Collegefreunde mit ihr ausgingen. Bald würde er sie wohl dafür bezahlen müssen.
Doch heute Abend hatte Richmond noch einen Rendezvouspartner für Odette gefunden, und Clarices Eltern hatten ihr sogar erlaubt, eine Stunde länger als sonst wegzubleiben. Es sollte der perfekte Abend werden. Und nun war Odettes Mutter drauf und dran, alles zu ruinieren.
Bei ihrer eigenen Mutter half oft jammern, wenn es darum ging, sich vor lästigen Aufgaben zu drücken, oder wenn sie den Zapfenstreich etwas hinauszögern wollte, also versuchte Clarice dasselbe bei Dora Jackson. »Aber Mrs Jackson«, nölte sie, »wir gehen ins All-You-Can-Eat, und Barbara Jean wohnt doch in der anderen Richtung … und ich hab hohe Schuhe an.«
Odette formte mit den Lippen ein
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