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Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Titel: Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Kelsey Moore
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sie zu leben gelernt, lange bevor sie verstorben war. Doch von einem Augenblick zum anderen ein Elternteil – und das war Big Earl für James gewesen – zu verlieren war eine neue Art von Verlust für James, und es würde eine Weile dauern, bis er es verarbeitet hatte.
    Auch Barbara Jean hatte es schwer. Sie versuchte, sich nach außen nichts anmerken zu lassen. Sie war weder hysterisch noch verheult, und sie sah so perfekt aus wie immer. Aber es war leicht zu erkennen, dass die Tode von Lester und Big Earl so knapp hintereinander sie schwer belasteten. Sie versank in ihrer ganz eigenen Gedankenwelt und entfernte sich jeden Tag weiter von Clarice und mir.
    Clarice hatte alle Hände voll mit Richmond zu tun. Er hatte seine Betrügereien mit voller Kraft wieder aufgenommen. Es war wie in guten alten Zeiten. Er trieb sich herum und scherte sich nicht darum, wer es mitbekam. Selbst Leute, die ihn und Clarice kaum kannten, zerrissen sich das Maul darüber. Clarice tat so, als würde sie es nicht bemerken, aber an manchen Tagen kochte sie so sehr vor Wut auf ihn, dass ich um ihrer beider willen hoffte, dass Richmond mit einem offenen Auge schlief.
    Und ich. Nachdem sie eine Weile nachgelassen hatten, waren meine Hitzewallungen wieder mit aller Macht zurück. In den meisten Nächten konnte man mich in den frühen Morgenstunden in der Küche finden, wo ich Kühlung suchte und mit Mama plauderte, anstatt zu schlafen. Ich genoss Mamas Gesellschaft, aber der Schlafmangel forderte seinen Tribut. Ich fühlte mich abgespannt und sah aus – das stellte meine Mutter unverblümt fest – wie ein zerkauter Kräcker.
    Mitte Oktober hatte ich genug davon, mich schlecht zu fühlen, also ging ich zu meinem Arzt und rasselte eine lange Liste von Symptomen herunter.
    Ich erzählte ihm von meinen Hitzewallungen und der Müdigkeit. Ich klagte darüber, dass ich vergesslich wurde und, wie James behauptete, reizbar.
    Aber ich wollte ihm nicht den Hauptgrund dafür nennen, warum ich mich entschieden hatte, ihn aufzusuchen. Denn ich hatte keinerlei Lust, meinem Arzt zu erklären, dass ich einen Termin mit ihm ausgemacht hatte, weil die frühere First Lady Eleanor Roosevelt neuerdings ein besonders großes Interesse an mir zeigte. Ich erinnerte mich nur zu gut daran, wie sie Lester umkreiste, direkt bevor er durch den Stromschlag umkam, und das machte mich sehr nervös.
    Zuerst hatte Mrs Roosevelt mich nur zusammen mit Mama besucht, doch dann fing sie an, auch allein bei mir aufzutauchen. Manchmal betrat ich morgens mein winziges Büro neben der Kantine der Riley-Grundschule, und da war sie, schlafend auf einem der rostigen Klappstühle aus Metall oder ausgestreckt am Boden. Gelegentlich tauchte sie auch wie aus dem Nichts auf und beugte sich von hinten über meine Schulter, während ich per Telefon die Essensbestellungen aufgab. Ich fasste den Entschluss, meinen Arzt aufzusuchen, nachdem mich Mrs Roosevelt eine geschlagene Woche lang jeden Morgen begrüßt und mir mit einem breiten Grinsen im Gesicht einen Schluck aus ihrem Flachmann angeboten hatte. (Mama hatte recht gehabt mit Mrs Roosevelt und ihrer Trinkerei. Diese Frau hing wirklich von früh bis spät an der Pulle.)
    Mrs Roosevelt und Mama saßen in einer Ecke des Behandlungszimmers, während der Untersuchung und während der Tests, die anschließend gemacht wurden. Eine Woche nach diesem ersten Termin begleiteten sie mich wieder und hörten mit, als mein Arzt Dr. Alex Soo mir eröffnete, dass ich unter einem Non-Hodgkin-Lymphom leide.
    Alex war ein Freund von mir. Er war ein pummeliger Koreaner, ungefähr ein Jahr jünger als mein Sohn Jimmy. Als er einige Jahre zuvor die Praxis meines alten Arztes übernommen hatte, war ich seine erste Patientin gewesen.
    Alex zog in die Stadt, kurz nachdem meine Tochter Denise das Haus verließ, und sobald ich Alexs rundes, glattes Gesicht gesehen hatte, beschloss ich, ihn nach Strich und Faden zu bemuttern, ob er wollte oder nicht. Als ich herausfand, dass er allein lebte und keine Verwandten in der Nähe hatte, lag ich ihm so lange in den Ohren, bis er die Feiertage mit mir und meiner Familie verbrachte. Mittlerweile war es zu einer alljährlichen Tradition geworden. Manchmal, wenn Alex nicht achtgab, rutschte ihm ein »Ma« heraus, wenn er mit mir sprach.
    Nun saß dieser nette junge Mann hinter seinem Mahagonischreibtisch, der viel zu groß für ihn wirkte, und knetete seine Hände. Er bemühte sich sehr, mir nicht in die Augen zu schauen,

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