Mucksmäuschentot
Badminton. Mum, die groß und ziemlich unbeholfen war, taugte nichts beim Sport, und wenn sie den Ring aus wenigen Zentimetern Entfernung verfehlte oder wie wild nach dem wirbelnden Federball schlug, aber nur die Luft traf, gingen wir beide vor Lachen zu Boden.
Es war so schön, auf dem Land zu leben und keine Nachbarn zu haben. Man konnte reden, lachen, schreien – sogar kreischen –, so laut man wollte, ohne dass einen jemand hörte. Es war völlig anders als im
ehelichen Heim
, in dem man sich kaum in den Garten traute, weil er von allen Seiten einsehbar war. Dort musste man flüstern, damit die Nachbarn, die hinter den Büschen auftauchten, einen nicht hörten.
Abends spielten wir im Wohnzimmer Duette, was wir nicht mehr getan hatten, seit Dad uns verlassen hatte. Wir hatten viele Noten für Flöte und Klavier, und eines Tages entdeckte ich beim Blättern eine Sammlung mit dem Titel
Russische Volkslieder
, die wir noch nie aufgeschlagen hatten. Es wurden unsere absoluten Lieblingsstücke, und in diesem März arbeiteten wir uns durch das ganze Buch. Die Flötenpartien waren eingängig und ziemlich leicht zu spielen, während die Klavierbegleitung schwierig war und selbst Mum gelegentlich auf die Probe stellte. Es waren Melodien, die einem nicht mehr aus dem Kopf gingen, und am nächsten Tag pfiffen und summten wir sie immer vor uns hin. Wenn ich einen besonders schlimmen Fehler machte, mussten wir so kichern, dass wir in der nächsten halben Stunde kaum vorankamen. Ich genoss diese Duette und hatte noch nie so viel Spaß am Flötenspiel gehabt wie jetzt.
Manchmal schaute ich zu Mum, wenn sie auf Zehenspitzen versuchte, den Federball aus den Ästen des Kirschbaums zu angeln, oder eine komische Grimasse schnitt, wenn ich ihren Krocketball quer durch den Garten schlug, und dann überwältigte mich die Liebe zu ihr. Mit ihrem großen, unbeholfenen Körper, den großen Händen, die sie irgendwo unterzubringen versuchte, dem dunklen, krausen Haar, das kein Kamm der Welt zähmen konnte, wirkte sie so …
so verletzlich
, dass ich sie am liebsten in die Arme genommen und so fest wie möglich an mich gedrückt hätte.
Ich wusste, dass das Geld knapp war. Als Mum sich erkundigte, was ich mir zu meinem sechzehnten Geburtstag wünschte, gab ich ihr daher nur eine kleine Liste mit Büchern. Als sie ungläubig nachfragte, ob das wirklich alles sei, antwortete ich, ich hätte schon alles, was ich mir nur wünschen könnte.
Natürlich stimmte das nicht so ganz. Es gab in der Tat etwas, das ich mir wünschte, aber es wäre zu egoistisch gewesen, es zu erwähnen. Mum fuhr in einem schrottreifen Auto durch die Gegend und ging in Kostümen zur Arbeit, die über fünfzehn Jahre alt waren. Ich konnte mich nicht erinnern, wann sie sich zuletzt etwas Neues gekauft hatte. Wir aßen gut, und es war immer genügend Geld da, um neue Kleidung und Schuhe für mich zu kaufen, ein Buch oder eine Zeitschrift, eine DVD oder eine Kinokarte. Ich merkte, dass sie meine Bedürfnisse stets vor ihre eigenen stellte, und das durfte ich auf keinen Fall ausnutzen.
Doch es gab etwas, das ich gerne gehabt hätte. Sehr gern sogar, vielleicht sogar noch lieber als die Flöte, die ich mir als kleines Mädchen gewünscht hatte. Ich wollte einen Laptop haben – einen dieser flachen neuen Laptops, die ich beim Einkaufen mit Mum gesehen hatte. Sie waren so flach und leicht, dass man sie in einer Schultertasche mitnehmen konnte, und kaum größer und schwerer als ein dünner Papierstapel.
Wir hatten einen PC in dem kleinen Vorderzimmer stehen, das Mum als Büro benutzte. Er war fast zehn Jahre alt (natürlich hatte Dad den neueren mitgenommen), also praktisch Steinzeit. Er zeigte die Macken des Alters – hängte sich regelmäßig auf, ließ sich oft nicht richtig herunterfahren und war unerträglich langsam! Ich benutzte ihn, wenn ich ins Internet musste, fühlte mich aber nie sehr wohl dabei. Eigentlich war es Mums Computer, und ich hatte Angst, versehentlich die Aussage eines Mandanten oder eine komplizierte Schadensberechnung zu löschen, an der sie stundenlang gesessen hatte. Ich zog es vor, meine Aufsätze von Hand zu schreiben, statt mich mit der Bestie abzugeben, wie wir sie getauft hatten. Andererseits war mir klar, wie viel einfacher die Hausaufgaben mit einem eigenen Computer wären. Ich könnte Absätze verschieben, ganze Abschnitte löschen (statt sie wie eine Vierjährige durchzustreichen), die Rechtschreibung überprüfen und genau
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