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Mucksmäuschentot

Mucksmäuschentot

Titel: Mucksmäuschentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon Reece
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roten Blutes« aus seinem Blasloch schoss, sah ich den roten Strahl, der aus dem Hals des Einbrechers gespritzt war, als ich ihn mit der Messerspitze verletzt hatte. Als Stubb »nachdenklich dastand und den riesigen Leichnam betrachtete, das Werk seiner Hände«, erinnerte ich mich an die Stille in der Küche, nachdem Mum ihren vernichtenden Schlag gelandet hatte und wir uns allmählich der unglaublichen Tatsache bewusst wurden, dass wir jemanden getötet hatten.
    Dann bemerkte ich Rogers Stimme, ganz weit entfernt und kaum hörbar. Er sagte etwas zum zweiten oder dritten Mal.
    »Entschuldigung, hast du was gesagt?«
    »Du bist wirklich
fertig
, was?«, meinte er lachend. »Ich habe gesagt, es ist vorbei. Schluss.«
    Es ist vorbei.
Würde die Polizei das sagen, wenn sie heute zu uns nach Hause käme?
Es ist vorbei …
Ich schrieb das Wort zu Ende und legte den Stift hin. Ich hatte nur die Hälfte der Fragen beantwortet.
    »Sollen wir eine kleine Teepause machen, bevor wir uns das anschauen? Normalerweise hätten wir schon zwei oder drei Tassen getrunken …«
    Ich hatte ihm keinen Tee angeboten, weil er mir gern in die Küche folgte und plauderte, während das Wasser kochte, und ich an Mums Warnung denken musste:
Du solltest niemanden in die Küche lassen.
    »Ich nehme an, ich soll ihn heute machen, weil du Geburtstag hast«, scherzte Roger. »Nun ja, weil es ein besonderer Tag ist – nur dieses eine Mal –« Er wollte aufstehen.
    »Nein!«,
schrie ich und sprang auf. »Ich mache es schon, Roger. Ich hatte es nur vergessen. Wie gesagt, zu viel Wein gestern Abend. Ich bin noch nicht ganz wach.«
    Er setzte sich wieder, doch als ich an ihm vorbeigehen wollte, lehnte er sich zurück und versperrte mir den Weg.
    »Hättest du möglicherweise noch ein Stück Zitronenkuchen übrig, Shelley? Ich sterbe vor Hunger.«
    »Natürlich.« Ich lächelte, worauf er mich mit einem frechen Grinsen vorbeiließ. Ich war mir sicher, er würde mir folgen, und suchte verzweifelt nach einem Weg, ihn im Esszimmer zu beschäftigen.
    »Vielleicht wirfst du schon mal einen Blick auf meine Antworten. Leider bin ich nicht sehr weit gekommen.«
    »Na klar«, sagte Roger und griff nach meinem Heft. »Na klar.«
    Das Lächeln wich aus meinem Gesicht, sobald ich allein in der Küche war. Ich musste mich beeilen. Wenn ich nicht schnell genug war, würde er mir nachkommen. Ich holte den Zitronenkuchen aus der Dose und legte ihn auf den Tisch. Dann füllte ich rasch den Kessel, gab zwei Teebeutel in die Kanne und holte einen Teller aus dem Schrank. Ich nahm eine Gabel aus der Besteckschublade und suchte nach einem Messer, um den blöden Zitronenkuchen zu schneiden. Ich fand das lange scharfe Messer mit dem schwarzen Plastikgriff, doch sowie ich es in der Hand hielt, kamen die Erinnerungen wieder.
Ich bohrte das Messer zwischen seine Schulterblätter. Ich stach auf ihn ein, als er gebückt zum Haus rannte. Ich verletzte ihn am Hals, während ich ihn durch die Küche verfolgte. »Wir spielen Reise nach Jerusalem! Wir spielen Reise nach Jerusalem!«
    »Es fällt dir sehr schwer, oder, Shelley?«, sagte eine Stimme hinter mir.
    Ich schoss herum, das Messer in der Hand.
    Roger war in die Küche gekommen und schlenderte unbekümmert zur Hintertür.
    Was meinte er damit? Was fiel mir schwer? So zu tun, als wäre letzte Nacht nichts geschehen? Sprach er davon, dass wir den Mord an dem Einbrecher vertuschen wollten?
    »Es ist nicht einfach, vor allem, wenn so viel Blut im Spiel ist.«
    Er wusste es! Er wusste es! Irgendwie hatte Roger davon erfahren!
    Ich umklammerte das Messer und wusste nicht, was ich tun sollte. Ihn erstechen? Hätte Mum das gewollt?
    »Es war ein blutiges Geschäft, nicht wahr?«
    »Wovon redest du?«, krächzte ich heiser und so leise, dass die Frage kaum zu hören war.
    Roger sah mich überrascht an. »Die Passage – die Passage aus
Moby Dick
. Sie ist nicht nur technisch, sondern auch emotional schwierig. Der Walfang war ein wildes, blutiges Geschäft. Ich bin überrascht, dass sie den Text letztes Jahr überhaupt für die Prüfung ausgewählt haben. Viele Schüler waren durcheinander, es gab zahlreiche Beschwerden. Was dachtest du denn, wovon ich rede?«
    Ich nahm den Kuchen aus dem Einwickelpapier und versuchte ihn mit zitternder Hand zu schneiden. Meine Nerven lagen bloß. Mein Kopf fühlte sich seltsam an: kreisender Schwindel, eine Verrücktheit und das Übelkeit erregende Gefühl, dass ich meine eigenen Handlungen nicht

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