Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mucksmäuschentot

Mucksmäuschentot

Titel: Mucksmäuschentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon Reece
Vom Netzwerk:
länger unter Kontrolle hatte. Ich wusste einfach nicht, was ich als Nächstes tun würde und wozu ich fähig war.
Ich musste ihn aus der Küche schaffen!
Dies war das Epizentrum. Hier hatte der Mord stattgefunden. Hier war alles voller Blut gewesen. Das Messer wollte nicht aufhören zu zittern, und ich musste es mit beiden Händen halten.
    »Hier drinnen sieht es irgendwie anders aus«, sagte Roger.
    Ich tat, als hätte ich nichts gehört, doch mein Herz schlug noch schneller.
    »Wo sind die Vorhänge hin?«
    »Hm – in der Wäsche«, sagte ich und versuchte, fröhlich und sorglos zu klingen.
    »Die Matte vor der Tür ist auch nicht mehr da.«
    »Ja. Mum mochte sie nicht. Sie hat sie weggeworfen.«
    Roger lehnte sich mit verschränkten Armen an die Hintertür. Seine riesigen grünen Augen wanderten wie Sicherheitskameras durch die Küche.
    »Da ist noch etwas …«, sagte er, als dächte er laut nach. »Noch etwas ist anders …«
    Ich hätte es ihm sagen können: Das schwere Schneidbrett aus italienischem Marmor hing nicht mehr am Haken neben dem Herd. Es lag oben in einem Müllbeutel, verklebt mit Blut und Hirnmasse des Einbrechers.
    »Was ist es nur? Was
ist
es nur?«
    Irgendwie gelang es mir, ein Stück Kuchen abzuschneiden und auf den Teller zu legen. Ich hielt ihn Roger lächelnd hin, doch er musterte noch immer die Küche und zupfte dabei an seinem blonden Schnurrbart.
    Und da entdeckte ich ihn. Mum hatte ihn übersehen. Ich hatte ihn übersehen. Er befand sich auf dem meerblauen Türrahmen in Höhe von Rogers rechtem Ellbogen, genau über dem Griff. Ein nierenförmiger Fleck mit vier senkrechten Streifen darüber. Eher braun als rot, aber unverwechselbar.
    Ein Handabdruck.
    (Er hatte versucht, mir die Tür vor der Nase zuzuschlagen, aber ich hatte mir mit der Schulter Zutritt verschafft.)
    Ein blutiger Handabdruck.
    Roger musste den Kopf nur ein winziges Stückchen drehen, dann würde er ihn sehen.
    Zu meinem Erstaunen behielt ich die Nerven.
    Ich fixierte Roger, bis die grünen Fische zur Ruhe kamen, und sprudelte mit den erstbesten Worten heraus, die mir in den Sinn kamen.
    »Ich fand die Passage unmöglich – die schwerste Verständnisübung, die ich je hatte, und Frage fünf habe ich gar nicht verstanden, Roger, überhaupt nicht – ›Welche literarische Rolle spielt Stubbs Pfeife?‹. Was heißt in diesem Zusammenhang ›literarische Rolle‹? Ich meine, es ist doch nur eine Pfeife, oder? Sie mag ja sein Markenzeichen sein, das ihn als Charakter kennzeichnet, aber ich sehe da keine
literarische Rolle …
«
    Ich redete die ganze Zeit und bewegte mich langsam in Richtung Esszimmer, den Kuchen vor mir ausgestreckt. Roger folgte mir mit den Augen, so dass sich sein Kopf ganz allmählich vom Blutfleck an der Hintertür abwendete …
    »Da hast du recht, Shelley – die Frage ist nicht gut formuliert, aber sie wollen wohl darauf hinaus, dass die Pfeife nicht nur eine Pfeife ist, sondern ein Symbol –«
    »Komm«, unterbrach ich ihn von der Tür des Esszimmers aus – »wir setzen uns, und du kannst deinen Kuchen essen.«
    Er folgte mir gehorsam wie ein Hund, dessen Herrchen schon die Leine vom Haken genommen hat. Lächelnd stieß er sich von der Tür ab, die Arme noch immer verschränkt, und folgte mir aus der Küche.

22
    Als Roger endlich gegangen war, ließ ich mich gegen die Haustür fallen und rutschte daran hinunter, bis ich mit ausgestreckten Beinen auf dem Teppich saß. Die drei Stunden mit ihm hatten mich vollkommen erschöpft. Noch nie in meinem ganzen Leben war ich so fertig gewesen.
    Meine Augen schienen geschwollen, und mein Blick war seltsam ungleich, als könnte ich auf dem rechten Auge besser sehen als auf dem linken. Ich musste aufstoßen, und als mir der Geschmack der Spaghetti Bolognese von gestern Abend in den Mund stieg, wurde mir ganz übel. Mein Magen brodelte besorgniserregend. Mir war schwindlig. Ich blieb lange in der Diele sitzen, den Kopf in den Händen, und starrte auf den Teppich. Ich hoffte, dass sich die Übelkeit legte und ich mich nicht übergeben musste.
    Dann fiel mir der Blutfleck ein. Ich musste ihn entfernen, bevor Mrs Harris kam.
    Ich rappelte mich hoch, taumelte in die Küche und rieb mit einem feuchten Küchenhandtuch an dem Fleck. Er ließ sich nicht so einfach entfernen – er war tief in das rissige Holz gezogen, und ich musste fest schrubben. Ich hatte keine Kraft im Handgelenk, und die Anstrengung verstärkte noch die Übelkeit. Mir brach kalter

Weitere Kostenlose Bücher