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Mucksmäuschentot

Mucksmäuschentot

Titel: Mucksmäuschentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon Reece
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Schweiß aus, und bittere Galle stieg mir in den Mund. Das war die letzte Stufe vor dem Erbrechen. Das verschmierte Blut auf dem Handtuch gab mir den Rest.
    Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig ins Bad.
     
    Dann lag ich auf dem Sofa im Wohnzimmer, war aber zu unruhig und fiebrig, um richtig zu schlafen. Ich warf mich in einer Art Delirium herum, wobei mein Verstand mit einer Million Stundenkilometer dahinraste, ein Zug voller verwirrter, paranoider, schuldbewusster Gedanken, der auf einem winzigen Gleis in schwindelerregendem Tempo im Kreis fuhr.
    Wir hatten den Einbrecher nicht richtig begraben; der rechte Arm ragte steif aus der Erde. Wenn es nicht der Arm war, dann eben der Fuß, der Fuß ohne Schuh und in einer fadenscheinigen grünen Socke: Ich musste hingehen und ihn richtig vergraben, sonst würde Mrs Harris ihn bemerken … Oder wir hatten den Einbrecher gar nicht richtig getötet, er war wieder zu Bewusstsein gelangt und stemmte sich aus seinem provisorischen Grab empor, ein Monster aus Schlamm und zerhacktem Fleisch wie aus einem billigen Horrorfilm. Er rief mich auf dem Handy an, während er zum Haus wankte, wollte mich erschrecken, peinigen, foltern …
    Ich fuhr schreiend hoch, als das Telefon klingelte. Entsetzt starrte ich hin und ließ es klingeln, weil ich Angst hatte, mich zu melden. Als ich wieder einen klaren Kopf hatte und der lächerliche Gedanke, es könnte der Einbrecher sein, langsam verblasste, folgte der nächste Schreck. War es die Polizei? Ich weiß nicht, wie oft ich es klingeln ließ, bis ich mich endlich meldete.
    Es war Mum.
    Sie klang sehr vorsichtig, als vermutete sie, dass irgendjemand uns belauschen könnte. Ich tat es ihr nach.
    »Hast du einen schönen Geburtstag?«, fragte sie fröhlich.
    »Ja, wunderbar, Mum«, antwortete ich ohne eine Spur von Ironie. »Roger hat mir eine schöne Ausgabe von
Rebecca
geschenkt.«
    »Klasse! Wie war der Unterricht?«
    »Danke, bestens. Wir haben die Ursachen des Ersten Weltkriegs besprochen. Das ist Rogers Spezialgebiet – du solltest ihn hören, er weiß einfach alles darüber. Er sollte wirklich ein Buch schreiben.«
    Wir unterhielten uns etwa fünf Minuten, ohne wirklich etwas zu sagen, doch am Ende des Gesprächs wusste Mum, dass es mir gutging und die Polizei nicht da gewesen war … noch nicht.
    Sie sagte, sie wolle versuchen, früh nach Hause zu kommen.
    Kurz darauf musste ich mich noch einmal übergeben, hatte aber kaum noch etwas im Magen. Ich ging nach oben, wusch mein Gesicht mit kaltem Wasser, putzte mir die Zähne und gurgelte mit Mundwasser, um den beißenden Geschmack loszuwerden. Als ich am Waschbecken stand, überkam mich ein unglaublicher Schlafdrang; der Schlaf lockte mich wie eine Sirene, wie die Flöte des Rattenfängers, und ich wäre ins Bett gegangen (zum Teufel mit den Folgen), wenn nicht in eben diesem Moment Mrs Harris’ Auto in die Einfahrt gebogen wäre.
     
    Mrs Harris bereitete mir sehr viel weniger Probleme als Roger. Sie interessierte sich überhaupt nicht für die Tatsache, dass ich Geburtstag hatte, und als sie die Karte und das Geschenk von Roger entdeckte, bemerkte sie nur barsch, sie könne Konkurs anmelden, wenn sie allen ihren Schülern Geburtstagsgeschenke kaufte. Anders als Roger interessierte sich Mrs Harris kaum für ihre Umgebung und hätte vermutlich nicht einmal bemerkt, wenn das ganze Sideboard aus dem Zimmer verschwunden wäre. Auch wollte sie niemals Tee, sondern brachte lieber schwarzen Kaffee in einer kleinen Thermosflasche mit.
    Die öde, ereignislose Stunde wurde nur einmal kurz unterbrochen, das aber mit einer schockierenden Heftigkeit.
    Mrs Harris hatte sich eine Tasse Kaffee eingeschenkt und wickelte ihre Vollkornkekse aus der Frischhaltefolie.
    »Ich habe gerade eine neue Schülerin angenommen, die ganz in der Nähe wohnt. Sie ist in deinem Alter. Ihr Vater ist Bauer – ich glaube, seine Felder müssten an euren Garten grenzen. Sie heißt Jade.
Jade,
nicht zu fassen!«
    Ich sagte nichts, sondern schaute auf die Uhr, um zu sehen, wie lange die Stunde noch dauerte.
    »Sie ist auch ein sogenanntes Mobbingopfer«, fuhr Mrs Harris fort und wischte sich die Kekskrümel von den Fingerspitzen. »Mit anderen Worten, sie zieht es vor, zu Hause zu bleiben, statt sich die Mühe zu machen und zur Schule zu gehen.«
    Früher hatte ich solche Bemerkungen durchgehen lassen; ich wusste, was Mrs Harris von Mäusen hielt. Diesmal aber platzte ich heraus, bevor ich nachdenken

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