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Mucksmäuschentot

Mucksmäuschentot

Titel: Mucksmäuschentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon Reece
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weiteren monströsen Albtraums.
    Denn das verbeulte türkisfarbene Auto, das wir vor Wochen auf dem Parkplatz des
Farmer’s Harvest
abgestellt hatten,
Paul Hannigans Auto,
rollte langsam hinter unseren Ford Escort.
     
    Plötzlich schien sich der Boden unter meinen Füßen zu neigen, und wie eine Turnerin, die nach dem Sprung falsch aufkommt, musste ich einen Schritt machen, um nicht hinzufallen. Das ergab doch keinen Sinn! Es war unmöglich! Paul Hannigan war
tot
! Wie um Himmels willen war der Wagen zu unserem Haus gelangt? Wie um Himmels willen hatte er den Weg
zurück zu uns
gefunden?
    Es stimmte also doch. Die Toten blieben nicht tot. Paul Hannigan war zurückgekehrt, um sich an uns zu rächen.
    Mum wandte sich vom Fenster ab. Ihr Gesicht war grimmig, entschlossen und totenbleich. Sie wollte zur Haustür gehen, doch ich vertrat ihr den Weg und hielt ihre Hände fest.
    »Was ist los, Mum? Was geht hier vor?«
    Sie antwortete nicht. Draußen wurde eine Autotür zugeschlagen.
    »Ich begreife das nicht«, stöhnte ich. »Wir waren sein Auto losgeworden!
Wir waren es doch losgeworden!
Wie kommt es jetzt hierher?«
    Schwere Schritte kamen langsam über den Kies und näherten sich der Haustür.
    »Überlass das mir, Shelley.«
    Sie löste sich aus meinem Griff und wollte in die Diele gehen, doch ich hielt sie fest, klammerte mich an ihre Fleecejacke und den Gürtel ihrer Jeans.
    »Mach nicht auf, Mum!«, flehte ich. »Lass ihn nicht rein!«
    Mum schob grob meine Hände weg. »Sei nicht
dumm
, Shelley!«, brüllte sie. »Werd nicht hysterisch! Wir müssen ihn reinlassen! Das muss ein für alle Mal ein Ende haben, so oder so!«
    Jemand klopfte entschlossen an die Haustür, dass der Rahmen bebte und die Ketten klirrten.
    Ich folgte Mum in die Diele und lehnte mich ans Treppengeländer. Ich sah zu, wie sie sämtliche Schlösser öffnete, die Ketten löste und die Riegel zurückschob – einen unten an der Tür, einen oben. Als sie die Haustür aufriss, rechnete ich damit, den rachedurstigen, blutigen Geist von Paul Hannigan zu erblicken.

38
    Aber es war kein Geist.
    Vor unserer Tür stand ein kleiner, komisch aussehender Mann um die fünfzig mit einem gewaltigen Bierbauch. Er hatte die verbliebenen Haare vom rechten Ohr über die Glatze gekämmt und mit einer Art Pomade angeklebt. Sein wabbliges Doppelkinn reichte fast bis zum Brustbein. Auf seiner Stupsnase balancierte eine große Brille mit Plastikgestell, und eine Selbstgedrehte baumelte ihm von der Unterlippe. Er trug ein fleckiges gelbes T-Shirt, das zum Zerreißen gespannt war, eine graue Jogginghose und altersschwache Turnschuhe.
    Doch die Arme des Mannes faszinierten mich noch mehr als sein gewaltiger Bauch. Sie waren kurz, stummelartig, fast wie bei einem Zwerg, aber mit starken Muskeln. Der aufgeblähte, mit Adern marmorierte Bizeps war mit den verblichenen Hieroglyphen uralter Tattoos bedeckt. An einem haarigen Handgelenk trug er ein Namensarmband und einen diese Kupferringe, die angeblich gegen Arthritis helfen. Am anderen hatte er eine goldene Rolex, die einen seltsamen Kontrast zu seinem ansonsten schäbigen Äußeren bildete.
    Er stand da und klapperte mit den Autoschlüsseln und dem Kleingeld in seiner Tasche. Offenbar wartete er darauf, dass wir ihn hereinbaten. Ich weiß nicht, mit wem Mum gerechnet hatte, aber sie wirkte ebenso verblüfft wie ich. Sprachlos glotzen wir den fetten Mann an.
    Er schälte die durchweichte Zigarette von seiner Unterlippe und schnippte sie auf den Kies.
    »Ich glaube, Sie wissen, wieso ich hier bin«, sagte er und stieß kampflustig das Kinn vor.
    Aber das war nicht der Fall. Nur ganz allmählich stellte mein Gehirn eine Verbindung zwischen dieser Karikatur und dem türkisfarbenen Auto her. Nur ganz allmählich gelangte ich zum einzigen möglichen Schluss: dass dies entgegen meinen hysterischen Erwartungen
tatsächlich
der Erpresser war.
    »Sie sollten besser reinkommen«, sagte Mum und öffnete die Tür ein Stück weiter.
    Der fette Mann trat in die Diele, und einen Moment lang waren wir drei unbehaglich zusammengequetscht wie Fremde in einem Aufzug. Das einzige Geräusch war das angestrengte Atmen des fetten Mannes, die einzige Bewegung das Auf und Nieder seines gewaltigen gelben Bauches.
    Mum zögerte und schien nicht recht zu wissen, was sie tun sollte. Ihre Hand tastete sich zu der Bauchtasche. Würde sie ihn gleich hier und jetzt erschießen? Würde sie die Waffe gegen seinen dicken Bauch drücken und den Abzug

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