Mueller hoch Drei
herauswerfen und die Schnürsenkel fressen, als wären es Spaghetti. Ich wollte auch von der Putzkammer nichts als die Herausgabe der mir zustehenden Elternabfindungssumme. Piet Montag hingegen wollte, dass sämtliche Bewohner der Putzkammer ein wenig näher am Erdmittelpunkt leben sollten, wobei ihm die Schwerkraft freudig zu Hilfe eilte. Binnen weniger Sekunden lag nichts mehr, wo es gelegen hatte.
Überdies signierte Piet Montag alle Tuben mit dem Abdruck seines Gebisses. Auch die Tuben mit Schuhputzcreme, was ihn dazu veranlasste, eine kleine Zahnreinigung oder besser Zahnentfärbung vorzunehmen. Wie gut, dass in unserem Wohnzimmer ein ziemlich flauschiger und ziemlich weißer Teppich lag. Der tat ihm gute Dienste bei der Gebisspflege, machte allerdings danach den Eindruck, als hätte er einer verdreckten Planierraupe als Kettenabstreifer gedient.
Nach einer Stunde war ich fix und fertig. Ich sagte laut ein Wort, das man in amerikanischen Fernsehserien durch ein »Piep« ersetzen würde. Piet Montag würgte noch ein paar Flusen unseres ehemaligen Teppichs heraus, und Paula sagte: »Hunger!«
Einen Moment lang dachte ich an Flucht, doch dann sah ich, dass der Hund wieder etwas Unaussprechliches tun wollte. Zwar nur auf unserer Teppichleiche, trotzdem wollte ich das nicht zulassen. Seit fast vierzehn Jahren war ich das Objekt sogenannter Erziehungsmaßnahmen, daher war mir das Erziehen wohl in Fleisch und Blut übergegangen. Ich packte den Hund, da er schon einen etwas stieren Ausdruck in den Augen bekam, und trug ihn nach draußen in den Garten.
Dort standen Paula und ich dann Seite an Seite und sahen Piet Montag dabei zu, wie er sorgfältig prüfte, welches Stück vom Rasen meiner Ex-Eltern würdig genug sei, von ihm bekackt zu werden. Da er sich nicht entschließen konnte, drehten wir ihm den Rücken zu. Vielleicht schämte er sich ja vor uns, was mich allerdings überrascht hätte.
»Wir sind am Ende«, sagte Paula.
Ich war nicht so pessimistisch. Ich persönlich würde ja dank der Kühlschrankfüllung erst einmal nicht verhungern. Außerdem hatten wir ein Dach über dem Kopf. Und notfalls könnten wir uns mit einem Pappschild Zwei Drittel Drilling, verstoßen und verkauft in eine Fußgängerzone stellen und ein bisschen betteln. Ein halb verhungerter Piet Montag auf einer mottenzerfressenen Decke daneben könnte unsere Chancen auf den ein oder anderen Cent sogar erhöhen. Mir kam noch eine weitere Idee.
»Spielst du zufällig Blockflöte?«
Paula sah mich mit einem Blick an, der ins Mörderische spielte. »Spinnst du? Ich spiele Harfe.«
Und, wollte ich fragen, hast du die zufällig dabei? Aber Paula sah aus, als sei sie nicht zum Scherzen aufgelegt.
Ich selbst spiele übrigens auch nicht Blockflöte. Das heißt, ich spiele nicht mehr. Aber ich weiß aus meiner mehrjährigen Erfahrung als Blockflötenschüler, dass mein Spiel auf Erwachsene eine besondere Wirkung hat. So erinnere ich mich noch gut an die begeisterten Beifallsstürme der Eltern, die immer ausbrachen, wenn ich zu Ende gespielt hatte, beziehungsweise: weil ich zu Ende gespielt hatte. Möglicherweise könnte ich ja auf der Straße Geld dafür bekommen, nicht Blockflöte zu spielen oder wenigstens sofort damit aufzuhören.
Gerade war ich dabei, mir aus geschwisterlicher Solidarität ein Duo aus Harfe und Blockflöte vorzustellen, als aus dem Nachbargarten Schreie kamen, die mein Vater, der gerne etwas altmodische Wörter verwendet, sicher »markerschütternd« genannt hätte. Die Tonlage dieser Schreie kannte ich. So schrie nur Frau Glossbach. In den Jahren der Nachbarschaft hatte ich diese Schreie kennen und fürchten gelernt. Früher hatte Frau Glossbach meistens ihren Sohn Toni (Toni der Sohni) angeschrien, wenn der, ein typischer Halbstarker, wie meine Mutter gerne sagte, nachts um halb fünf mit einer halben Jacke, einem halben Moped, einer halben Freundin und einer kompletten Lebenskrise nach Hause gekommen war. Toni der Sohni aber hatte unlängst irgendeinen halbseidenen Beruf ergriffen und lebte seitdem in einem Land, das Frau Glossbach bis heute nicht auf dem Globus gefunden hatte.
Seitdem schrie sie wechselweise ihren Ehemann (Gerd der Gatte) oder ihren siamesischen Kater an, worauf der, gemeint ist jetzt der Kater, sich jedes Mal auf ein Volumen von acht Kubikmetern aufplusterte und nicht übel zurückkreischte. Gerd der Gatte blieb in solchen Fällen eher still, ging stattdessen in den hinteren Teil des Gartens und
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