Mueller hoch Drei
längerer Abwesenheit seine Stadt begrüßt. In der großen Halle des Bahnhofes kaufte sie dann zwei belegte Brote, um sich gleich darüber zu beschweren, dass der Käse darauf nicht mehr frisch, sondern, Originalton Paula: »direktemang von jestern« sei. Worauf die Verkäuferin prompt zwei frische Brote schmierte und Paula ihr ein gewaltiges Trinkgeld gab. Ich stand derweil abseits und schnappte nach Luft. Als sie dann noch überflüssigerweise einen Polizisten in gut imitiertem türkischem Akzent nach der Uhrzeit gefragt hatte, schien Paula endlich zu Hause angekommen zu sein.
Im Untergeschoss des Bahnhofs warteten wir auf eine S-Bahn; der Hund verdrückte derweil die Brote. Nach kaum zehn Minuten Fahrt waren wir am Ziel, Paula ging voran. Es war ein ruhiges Viertel mit großen alten Häusern, wie es sie in Neustadt nicht gibt. Am Straßenrand wuchsen hohe Bäume. Piet Montag schien es hier zu gefallen. Jedenfalls begann er sofort, die Gegend beinhebend für sich in Besitz zu nehmen. Ich konnte nicht hinsehen, so peinlich war mir das.
»Achtung jetzt!« Paula stoppte, und beinahe wäre ich ihr auf die Hacken getreten.
Wir standen an einer Straßenkreuzung. Paula sah sich um und wirkte tatsächlich ein wenig aufgeregt. »Jetzt wird’s gefährlich! Hier regieren Dasgupta und seine indischen Häscher. Was bedeutet: Du kannst jetzt mal zeigen, was du so draufhast. Ich verstecke mich inzwischen da.« Sie zeigte auf ein Gittertor in einer dunklen, brüchigen Mauer. »Dahinter ist unser Friedhof. Du findest mich beim Grab vom alten Bolle.« Ich musste noch einmal wiederholen, was ich zu tun hatte, dann gab mir Paula einen Klaps und verschwand.
Piet Montag hatte sich inzwischen ans Gehen an der Leine gewöhnt. Oder anders gesagt: Er hatte Spaß daran gefunden, mich hinter sich herzuziehen. Tatsächlich zog er mich auf direktem Weg in den Toreingang des Hauses Nummer zwölf. Hier sollte der geniale Hochschmidt wohnen. An der Wand hing eine große Tafel mit den Namen der Mieter, viele waren durchgestrichen und überklebt. Der Name Hochschmidt war nicht dabei. Meine Karriere als Drillings-Agent fing nicht eben gut an.
Ich sah mich ein bisschen um. Der Toreingang war hoch und breit genug, dass ein Pferdefuhrwerk hindurchgepasst hätte. Er führte zu einem Hinterhof, dort wuchs ein mächtiger Baum aus dem Kopfsteinpflaster, das sich hob und senkte wie Dünen am Strand. Um den Baum herum war eine Bank gebaut, unter einem kleinen Vordach standen ein paar Mülltonnen, und neben dem Eingang zum Hinterhaus hing ein großes Schild mit verschiedenen Verboten. Alles in allem war es ganz anders als mein Elternhaus – und irgendwie ziemlich gemütlich.
Die meisten Fenster zum Hof standen übrigens offen, und aus jedem drang eine andere Musik nach draußen. Es klang so furchtbar, dass es schon wieder schön war. Ein paar der Balkone waren vollgestellt mit Blumen und Pflanzen; es sah aus, als hätte man ein Stück Dschungel an die Wände geklebt. Ich stellte mir vor, wie es wäre, mit meinen Geschwistern in einem solchen Haus zu wohnen. Wahrscheinlich würden wir eine Bande gründen und uns mächtig wichtig machen. Abends säßen wir dann auf unserem Dschungelbalkon im fünften Stock, guckten über die Stadt und planten neue Abenteuer.
Da riss mich jemand aus den Träumen. Es war ein sogenannter großer Junge. Er tippte mir von hinten auf die Schulter und sah auf mich herab. »Äj, was suchsdu hier?« Dazu machte er eine lässige Bewegung, die ich nicht kopieren könnte.
Nun kam es wirklich darauf an. Vielleicht war der Junge ja ein Spitzel des Inders. Ich durfte mich also nicht verraten. Andererseits wusste er hier sicher Bescheid. Zum Glück fiel mir eine der Serien meines Vaters ein. Sie hieß Alle meine Nachbarn . Darin gab es die Figur Robby, ein Achtzehnjähriger, der zwischen zwei Lebensplänen schwankt. Plan eins lautet: freundlich und hilfsbereit zu allen Nachbarn sein – Plan zwei hingegen: alle ganz langsam und gewissenhaft zu Tode foltern. Eine Zeit lang ist Robby die große Plage der Nachbarschaft, aber dann verständigen sich alle darauf, ihn zu ihrem Hausmeister zu machen, weil er in dieser Funktion seine beiden Lebenspläne gleichzeitig verwirklichen kann.
Die Erinnerung an diese Serie brachte mich in die richtige Spur. Ich stellte mir einfach vor, der große Junge sei Robby. »Sorry, äh«, sagte ich mit einer Stimme, die wahrlich nicht die meine war und es hoffentlich auch nie werden würde. »Top
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