Mueller hoch Drei
essen. Leute, die unsere Wäsche waschen und uns überreden, uncoole Sachen zu tragen, damit wir uns nicht erkälten. Und Leute, die uns erklären, warum es besser ist, zur Schule zu gehen, als sich bei einem Superstar-Casting zu melden.«
Ich machte eine kleine Pause, weil mir momentan keine weiteren Vorzüge einer kompletten Familie einfallen wollten. »Und Leute, die uns daran erinnern, unsere Handys aufzuladen«, sagte ich noch, aber da hörte ich neben mir ein sanftes Schnarchen. Paula war eingeschlafen, zusammengerollt auf meinem Bett und in ihrem Bademantel. Dabei hielt sie Piet Montag im Arm, dessen schwarze Schnauze ein wenig aus dem weißen Plüsch hervorsah. Ich trollte mich auf das andere Riesenbett, löschte die drei Dutzend Lampen im Zimmer per Fernbedienung und schlief auch bald ein.
Und ich träumte.
Ich träumte, wir seien dreißig Jahre alt. Ich selbst besaß eine Segelschule mit Segelbootverleih in Marseby an der Schlei. Das Geschäft lief prima, ich verdiente gut, ohne allzu viel arbeiten zu müssen. Paula gehörte das Restaurant Zur heiteren Muschel in unmittelbarer Nähe meiner Segelschule, ein stets gut besuchtes und stimmungsvolles Lokal, dessen weiß-blaue Einrichtung gut zu meinen weißen Booten passte. Und wieder etwas weiter hatte unsere Schwester Pauline ihr Büro; sie war die Chefin der Hafenmeisterei und sorgte dafür, dass in der Gegend um Marseby alle Schifffahrtsregeln genauestens eingehalten wurden.
Abends, wenn die letzten Gäste gegangen, die letzten Boote vertäut und die letzten Regeln befolgt worden waren, trafen wir drei uns regelmäßig in der Heiteren Muschel . Dort saßen wir dann auf der Terrasse nahe am Wasser, neben uns Piet Montag, ein stattlicher schwarzer, nur leicht ergrauter Hund inmitten seiner Hundekinder und Hundekindeskinder, schwarz und stattlich wie er. Und dann lachten wir gemeinsam sehr herzlich darüber, dass die Leute in der Stadt schon redeten, man solle doch Marseby in Müllerby umbenennen, weil es seinen Reichtum und sein Wohlergehen nur den Müller-Drillingen verdanke.
Unsere Eltern träumte ich mir übrigens auch hinzu. Sie waren unlängst von ihrer sogenannten Weltreise zurückgekehrt, abgebrannt, verdreckt, desillusioniert und knapp über fünfzig. Jetzt waren sie froh und dankbar, dass sie bei ihren Kindern kleine Aushilfsjobs gefunden hatten, um ihre spärliche Rente aufzubessern. Unser Vater schrubbte zwölf Stunden pro Tag eklige grüne Algenschmiere von meinen weißen Booten, wobei ihm Gespräche mit meinen Kunden untersagt waren, während meine Mutter in Paulas Küche praktisch alle anfallenden Arbeiten verrichtete, ohne dabei Einfluss auf die Ausstattung des Restaurants nehmen zu dürfen.
Als ich am nächsten Morgen, dem vierten Tag meines großen Abenteuers, gegen halb zehn erwachte, hatte ich wegen dieses Traums ein sagenhaft schlechtes Gewissen. Gerne hätte ich weitergeschlafen und vielleicht etwas Elternfreundlicheres geträumt, aber der Hotelzimmer- PC meldete mit einem sanften Gong, dass zwei Nachrichten für mich vorlägen. Paula schlief noch. Ich stand leise auf und bekämpfte das schlechte Gewissen mit einem Glas Multivitaminsaft aus der Minibar.
Dann las ich die Nachrichten. Nummer eins stammte von Pototschnik. Er bestätigte schriftlich unsere Vereinbarungen und bat um ein baldiges Treffen, bei dem er alles festzurren wollte, so seine Formulierung. Allerdings sollten wir uns an einem anderen Ort treffen. Er schlug sein Jagdhaus außerhalb von Berlin vor, sicherheitshalber. Offenbar war die Rechnung für die Bar im Adlon selbst für Pototschnik’sche Verhältnisse etwas happig gewesen.
Die zweite Nachricht stammte von Mr. Allwissend, alias Bronco Highsmith, alias Bruno Hochschmidt. »Ist es hübsch im Adlon?«, schrieb er. Offenbar hatte er sich in den Hotelcomputer gehackt und uns dort gefunden. Meine Eltern, so teilte er mir weiter mit, hätten übrigens auf Mallorca am hoteleigenen Strand zwei Liegestühle für drei Wochen gemietet, inklusive kaltem Getränkeservice. Nur für den Fall, dass es mich interessiere.
Ich antwortete ihm, dass er sich irren müsse. Meine Eltern würden doch eine Weltreise nicht ausgerechnet auf Mallorca beginnen! »Man kann eben nicht alles wissen«, schrieb ich ihm. »Und bei einem Namen wie Müller sind Verwechslungen an der Tagesordnung. Für mich bleibt es jedenfalls dabei: Meine Eltern sind Schnee von gestern – wir fahren jetzt zu unserer Schwester und bauen uns eine neue
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