Mueller hoch Drei
Familie.«
Ich zögerte einen Moment, dann schrieb ich noch hinzu: »Wenn Sie etwas machen können, um uns dabei zu helfen, dann tun Sie es ruhig.« Ich schickte die Nachricht ab, und statt der sonst üblichen Bestätigung erschien auf dem Bildschirm, von lustigen Smilies umringt, der Satz: »Don’t call us, we call you.«
Ich weckte Paula und erzählte ihr von den Nachrichten. Kurz darauf klopfte es diskret an der Tür. Ich öffnete, und ein freundlicher Angestellter bat uns, doch bitte auf dem Zimmer zu frühstücken. Es gebe im Hotel nämlich Menschen, die unser Anblick an durchlittene Ängste erinnern könnte.
Wir waren einverstanden. Auf einem silbernen Wagen wurde uns eine Art Frühstücksparadies ins Zimmer gerollt, das, wie mir auffiel, erstaunlich viele rosafarbene Sachen enthielt: Rhabarbermarmelade, Lachs, Schinken, Melonenscheiben und Würstchen in zarten Streifen. Paula schien es nicht zu bemerken; vielleicht war sie einfach zu hungrig. Piet Montag hatte man eine fahrbare Frischfleischtheke vor die Schnauze gerollt, wahrscheinlich um ihn milde zu stimmen. Er bedankte sich auch artig und fraß sich sehr manierlich durch das komplette Angebot.
Ich selbst hatte mal wieder keinen Hunger; also schmierte ich Brote mit Dauerwurst und hartem Käse und packte damit unsere Rucksäcke voll bis an den Rand. Es war ja keineswegs sicher, wann wir demnächst wieder etwas zu essen bekommen würden. Und unser Vermögen wollte ich am liebsten gar nicht angreifen. Wer konnte denn schon sagen, wofür solche Streuner und Familiensucher wie wir demnächst ihr Geld brauchen würden?
Unser Auszug aus dem Hotel Adlon eine Stunde später vollzog sich still und leise. Ein Bediensteter begleitete uns zu einem Hinterausgang und bat uns im Namen der Direktion, bei unserem nächsten Besuch in Berlin anderswo abzusteigen. Wir versprachen es.
Zum Hauptbahnhof gingen wir zu Fuß, vorbei am Parlament und am Haus des Bundeskanzlers. Das Gebäude erinnerte mich an eines der Hindernisse auf dem Minigolfplatz in Neustadt. Man muss mit dem Ball eine Öffnung in seiner Mitte treffen; gelingt einem das, dann rollt der Ball aus dem Hindernis hinaus direkt ins Loch. Wir gingen gerade am Tor der Bundeskanzlerei vorbei, als ein großer schwarzer Wagen vorfuhr, dem ein offenbar indischer Staatsmann in Turban und Sari entstieg, worauf er von lauter Schwarzfräcken freundlich begrüßt wurde.
»Los, komm!« Paula begann zu laufen, die Lateindompteuse in ihrem Rucksack hatte Mühe, sich festzuhalten! »Die verhandeln schon über mich.«
Ich war mir da nicht so sicher. Dennoch lief ich auch, der Hund an meiner Seite. Auf der Brücke über die Spree hielt Paula an, und ich sah, wie sie ihr Handy in den Fluss warf.
»Wir hätten einen neuen Akku kaufen können«, sagte ich außer Atem, als ich bei ihr angekommen war. »Oder ein Ladegerät. Wir sind ja wieder flüssig.«
Sie sah ihrem Handy hinterher. »Ich will nicht, dass sie uns finden.«
Ich grinste. »Wir haben’s ja auch nett zusammen.«
»Idiot«, sagte Paula, und über solchen Gesprächen erreichten wir den Bahnhof.
Marseby an der Schlei
E ine halbe Stunde später saßen wir in einem Zug, der uns auf direktem Weg nach Marseby an der Schlei bringen sollte. Das war ebenso angenehm wie erstaunlich, allerdings hielt dieser Zug an allem, was auch nur entfernt nach Bahnhof aussah, und außerdem noch zwischendurch, womöglich so, wie es dem Lokführer gerade in den Kram passte. Es dauerte und dauerte. Paula bekam wieder Hunger und teilte sich meine Stullen aus dem Adlon mit Piet Montag.
»Eigentlich«, sagte sie mit vollem Mund, »mache ich mir nichts aus Hunden.« Dabei kraulte sie Piet Montag unter dem Kinn, an einer Stelle und auf eine Art und Weise, die ihn offenbar in Trance versetzte. »Hunde riechen schlecht, sie verlieren Haare, und dauernd machen sie unappetitliche Sachen.«
»Schade«, sagte ich. »Dabei sind sie doch alle ein wenig rosa.«
Paula schluckte und sah mich aus ihrem rückenfeindlich geformten Regionalbahnsessel fragend an. Ich machte ein Zeichen, worauf Piet Montag ebenfalls schluckte und anschließend seine tiefrosa Zunge so weit zum Maul heraushängen ließ, wie das überhaupt möglich war.
Paula schaute ihn an. »Ich hasse Rosa«, sagte sie. Dann tröstete sie den Hund mit einer Stulle. Den ganzen Rest der Strecke fuhren wir schweigend.
Es war später Nachmittag, als wir in Marseby an der Schlei ankamen. Der Bahnhof war für die Touristen hübsch
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