Mueller hoch Drei
herausgeputzt. Allerdings versuchte er, mehr nach Hafen als nach Bahnhof auszusehen, was zu einigen geschmacklich bedenklichen Details geführt hatte. Manche davon hätten meiner Mutter vermutlich gefallen, etwa der von Muscheln umrahmte Fahrkartenautomat oder das rustikale Fass, aus dem man touristische Informationsbroschüren fischen konnte.
Vor dem Bahnhof saßen wir eine Weile auf einer Bank, die wie ein Boot aussah. Vielleicht war es auch ein Boot, das hier als Bank seinen Dienst tat. Wir warteten auf Piet Montag, der sich geweigert hatte, das versiffte Klo in der Regionalbahn zu benutzen, und jetzt irgendwo tat, was Hunde eigentlich nirgendwo tun dürfen. Ich studierte derweil den Stadtplan von Marseby, hatte dabei aber so meine Schwierigkeiten, weil sich zwischen mich und den Plan ein Schwesternkopf schob.
»Da«, sagte Paula. Die Veilchenstraße lag am Stadtrand von Marseby, nicht allzu weit von der Schlei entfernt. »Und wie machen wir’s?«
Bevor ich antworten konnte, dass meine Familienpläne genau vor dieser Frage endeten, redete sie auch schon weiter. »Wir machen es so, wie ich es mit dir gemacht habe.«
Ich pfiff durch die Zähne. »Wieder die siamesische Masche? Wieder der Filzstifttrick? Wir wissen doch gar nicht, ob sie auch irgendwelche Brandflecken im Pelz hat.«
»Quatsch! Wir passen sie ab und wanzen uns ran. Und dann erzählen wir ihr die ganze Geschichte. Ehrlich währt am längsten.«
Das erstaunte mich aus ihrem Mund, aber einen besseren Plan hatte ich nun wirklich nicht. Also machten wir uns zu dritt auf den Weg. Piet Montag, der seit seinem Bad im Adlon aussah, als hätte er doppelt so viel Fell, ging dabei ein paar Schritte voraus. Kannte er etwa die Richtung? Wer weiß, vielleicht kannte er sie ja wirklich. Oder es roch für ihn bereits nach Müller.
Marseby war übrigens entschieden hübscher als sein Name. Hätten seine Bewohner bloß nicht unter dem Zwang gestanden, ihre Häuser und Vorgärten irgendwie marinemäßig aufzuhübschen, hätte man es richtig nett finden können. Ich erinnerte mich an meinen Traum. Vielleicht könnte Pauline später Regeln erlassen, die es verbieten, im Vorgarten Anker aus Stiefmütterchen zu pflanzen, Gartenzwerge in Form von Seebären oder Gartenlaternen in Form von Minileuchttürmen aufzustellen.
Die Veilchenstraße machte übrigens keine Ausnahme von diesem bedenklichen Brauchtum. Und auch das Haus Nummer 28, das Heim der Schönewinds, hielt sich leider nicht zurück. Doch als wir vor der Tür zum Vorgarten standen, fiel mir auf, dass der hiesige Stiefmütterchenanker an den Rändern ausgefranst war und die Gartenseebären windschief standen, während aus dem Minileuchtturm Kabel ragten, an denen offenbar Wasserratten geknabbert hatten.
»Und jetzt?«, sagte ich. Schon seit unserer Ankunft in Marseby spürte ich, wie die größere Energie für unser Familienabenteuer wieder von meiner Schwester ausging. Wer weiß, vielleicht hatte ja Paul Müller gestern Abend seine Lebensration an Abenteuerdynamik in weniger als einer Stunde vollständig aufgebraucht.
»Wir pirschen uns näher ran«, sagte Paula, und Piet Montag machte uns vor, wie das ging. Er kroch wie eine Katze unter der Vorgartentür hindurch und war von da an nur noch ein unauffälliger beweglicher Fleck am Boden. Wir taten es ihm so gut wir konnten gleich und erreichten so den Garten hinter dem Schönewind’schen Haus. Zusammen mit Piet Montag robbten wir auf eine Terrasse, von der aus wir um einen offenen Kamin herum ins große Wohnzimmer sehen konnten.
»Siehst du, was ich sehe?«
Ich sah es, aber mir hatte es die Sprache verschlagen. Auch die Lateindompteuse in Paulas Rucksack konnte nur nicken.
Denn tatsächlich, da saß sie! Beziehungsweise, da saß auf einem bläulichen Sofa ein Mädchen, das nach Größe und Haarfarbe durchaus unsere Schwester Pauline sein konnte. Leider saß sie mit dem Rücken zu uns, und wir bekamen keine Gewissheit. Was außer zu sitzen sie tat, war nicht zu erkennen. Mir schien, dass sie sich mit Absicht und nach Kräften langweilte. Jedenfalls bewegte sie sich nicht. Nicht einmal zu atmen schien sie, sie saß da wie versteinert.
Und wir glotzten ihr auf den Rücken. Paula schlief nach einer Viertelstunde der linke Fuß ein, mir der ganze Hintern. Man glaubt das nicht, aber das gibt es, und es fühlt sich miserabel und krank an. Nur Piet Montag schien das Warten nichts auszumachen. Gelegentlich reckte er seine Nase. Vielleicht erkannte er
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