Mueller hoch Drei
blieben. »Der große Harrasani erkennt jetzt einzig durch seinen unvergleichlichen Geruchssinn den größeren Schein in der Hand dieses reizenden Gentleman. Kommen Sie und schauen Sie! Das sehen Sie nicht überall. Achtung! Der große Harrasani beginnt. Ich bitte um Konzentration.«
Und wie aufs Wort begann Piet Montag, abwechselnd und mit geschlossenen Augen an den Fäusten des Kahlkopfs zu schnuppern. Zwischendurch warf er den Kopf in den Nacken und leckte sich ausgiebig die Nase. Immerhin, es sah nicht schlecht aus, was er da machte. Und wir hatten ja, wie ich rasch im Kopf berechnete, eine Chance von fünfzig Prozent. Endlich entschied sich der Hund, indem er stilvoll eine Pfote auf die linke Faust des Kahlkopfs legte und dazu einmal seriös bellte.
Jetzt kam es drauf an! Möglicherweise müssten wir im nächsten Augenblick unsere acht Beine in die Hand nehmen und Fersengeld geben. Anderes Geld hatten wir ja seit der blödsinnigen Bestechung nicht mehr dabei.
»Verdammt!« Der Kahlkopf öffnete die linke Faust, und darin lag ein eng zusammengefalteter Zehner. In der anderen hatte er einen Fünfer. Paula nahm den Zehner und knickste dabei wie eine Brautjungfer. Dass sie so etwas konnte, hätte ich nicht geglaubt. Es sah grauenhaft aus, passte aber nicht schlecht zu unserer Vorführung.
»Das war natürlich Zufall«, sagte der Kahlkopf. »Ich bestehe auf einer Revanche.«
»Selbstverständlich.« Paula war jetzt ganz in ihrem Element, ebenso wie unsere Plastikbegleiterin, die jubelnd die Arme in die Luft streckte. »Der große Harrasani ist bekannt für absolute Ehrlichkeit und beste Manieren. Kommen Sie, meine Damen und Herren! Kommen Sie und sehen Sie selbst!«
Tatsächlich traten etliche weitere Passanten hinzu, während der Kahlkopf wieder hektisch in seinem Portemonnaie zugange war. Endlich hielt er Piet Montag seine Fäuste hin, die Knöchel weiß vor Anspannung.
Ich hatte erwartet, dass der Hund wieder seine große Nummer geben würde, aber wahrscheinlich war er ebenso hungrig wie Paula, und nach jeweils einmaligem Schnuppern legte er unserem Kunden eine Pfote auf die rechte Faust.
»Nein!«, schrie der Kahlkopf, und wir waren um zwanzig Euro reicher. Offenbar war der Mann ein Spieler, jedenfalls hatte er noch nicht genug, aber seine Frau zog ihn energisch weg.
Seine Stelle nahm ein älterer Seebär ein. »Wolln doch ma säjn«, sagte der Seebär durch ziemlich viel Bart hindurch und hielt Piet Montag zwei Fäuste entgegen, auf deren linke eine Landkarte von Patagonien tätowiert war, während die rechte ein Verzeichnis der Fährverbindungen über die Schlei aufwies. Beide Fäuste rochen meterweit nach Fisch, und ich ließ den Mut sinken. Piet Montag aber biss herzhaft in die linke, und die zehn Euro, die daraus fielen, gehörten uns.
Der nächste Kandidat, Typ Surflehrer mit Interesse an Kunst, verlor auch einen Zehner. Es folgte eine Boutiquenbesitzerin mit ultralangen violetten Fingernägeln, der Piet Montag mehrmals verträumt und genüsslich über die Hand leckte, bevor er einen Fünfziger daraus zog. Ich hatte Mühe, unser Geschäft zu organisieren, denn halb Marseby stand jetzt bereits Schlange, um seine Barschaft an den großen Harrasani zu verlieren.
Doch bevor wir zu Großverdienern wurden, bekam ich einen Schubs von Paula. »Achtung, die Staatsmacht!« Tatsächlich schlenderte eine Polizistin die Uferpromenade entlang, und rasch teilte ich dem spielsüchtigen Marseby mit, dass die Vorstellung für heute zu Ende sei. Mit hundert Euro in bar kratzten wir, wie man so unschön sagt, die Kurve in Richtung Hafenrestaurant, wo Paula, noch etwas außer Atem, sich gleich die Frühstückskarte bringen ließ.
Eine halbe Stunde später gaben sie und Piet Montag nur noch kleine Laute der Sattigkeit von sich, während ich mich anstrengte, meinen Milchreis vollständig auszulöffeln.
»Erstaunlich«, sagte Paula endlich. »Wie ungleich bei der Herstellung von Drillingen doch die Fähigkeiten und Eigenschaften vergeben werden.« Ich dachte schon, sie meinte damit unsere in der Tat erheblich voneinander abweichenden Essgewohnheiten, aber da hatte ich mich geirrt.
»Da bin ich, Pardon«, sie musste wegen eines kleinen Rülpsers kurz unterbrechen, »ein patentes, selbstständiges, munteres, zupackendes Mädchen, aufgeschlossen und freundlich zu jedermann – und diese Pauline Zankapfel, zusammengebastelt aus dem gleichen Erbmaterial unserer Eltern, ist eine charakterschwache, haltlose und
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